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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Neugierde. Also, wonach suche ich?
    Crowe hatte Recht. Im Grunde taten sie das Gleiche. Jeder horchte in seinen Kosmos und hoffte, Antworten zu erlangen. Jeder trug eine tiefe Sehnsucht nach Gesellschaft in sich, nach der Gesellschaft intelligenter Wesen, die keine Menschen waren.
    Verrückt, das Ganze.
    Crowe schien seine Gedanken zu erraten.
    »Am Ende steht nicht die andere Intelligenz«, sagte sie. »Machen wir uns nichts vor. Am Ende steht die Frage, was die andere Intelligenz von uns übrig lässt. Wer wir dann sind. Und was wir nicht mehr sind.« Sie lehnte sich zurück und lächelte ihr freundliches, attraktives Lächeln. »Wissen Sie, Leon, ich glaube, am Ende steht ganz einfach die Frage nach dem Sinn.«
    Im Folgenden redeten sie über alles Mögliche, aber nicht mehr von Walen oder fremden Zivilisationen. Gegen halb elf, nachdem sie vor dem Kamin im Salon noch einen Drink genommen hatten – Crowe Bourbon, Anawak wie üblich Wasser –, verabschiedeten sie sich.Crowe hatte ihm erzählt, dass sie am übernächsten Morgen abreisen werde. Sie begleitete ihn nach draußen. Die Wolken hatten sich endgültig verzogen. Über ihnen spannte sich ein Sternenhimmel, der sie in sich hineinzusaugen schien. Eine Weile sahen sie einfach nur hinauf.
    »Bekommen Sie nicht manchmal genug von Ihren Sternen?«, fragte Anawak.
    »Bekommen Sie genug von Ihren Walen?«
    Er lachte. »Nein. Bestimmt nicht.«
    »Ich hoffe sehr, Sie finden die Tiere wieder.«
    »Ich werd's Ihnen erzählen, Sam.«
    »Ich werde es auch so erfahren. Bekanntschaften sind flüchtig. Es war ein schöner Abend, Leon. Wenn wir uns mal wieder über den Weg laufen, sollte es mich freuen, aber Sie wissen ja, wie das geht. Achten Sie auf Ihre Schützlinge. Ich glaube, die Tiere haben in Ihnen einen guten Freund. Sie sind ein guter Mensch.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    »In meiner Lage liegen Glauben und Wissen zwangsläufig auf einer Wellenlänge. Passen Sie auf sich auf.«
    Sie schüttelten einander die Hände.
    »Vielleicht sehen wir uns ja als Orcas wieder«, scherzte Anawak.
    »Wieso gerade als Orcas?«
    »Die Kwakiutl-Indianer glauben, dass jeder, der im Leben ein guter Mensch war, als Orca wiedergeboren wird.«
    »So? Das gefällt mir!« Crowe grinste übers ganze Gesicht. Die meisten ihrer vielen Falten, stellte Anawak fest, kamen offenbar vom Lachen.
    »Und glauben Sie es auch?«
    »Natürlich nicht.«
    »Warum nicht? Sind Sie nicht selber einer?«
    »Ein was?«, fragte er, obwohl ihm klar war, was sie meinte.
    »Ein Indianer.«
    Anawak spürte, wie er sich innerlich versteifte. Er sah sich durch ihre Augen. Einen mittelgroßen Mann von gedrungener Statur, mit breiten Wangenknochen und kupferfarbener Haut, die Augen leicht geschlitzt, das dichte, in die Stirn fallende Haar tiefschwarz und glatt.
    »So etwas in der Art«, sagte er nach einer zu langen Pause.
    Samantha Crowe musterte ihn. Dann brachte sie das Päckchen mit den Zigaretten aus ihrer Windjacke zum Vorschein, zündete sich eine an und nahm einen tiefen Zug.
    »Tja. Davon bin ich leider auch besessen. Alles Gute, Leon.«
    »Alles Gute, Sam.«

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    13. März
    Norwegische Küste und See
    Sigur Johanson sah und hörte eine Woche nichts von Tina Lund. In der Zwischenzeit sprang er für einen erkrankten Professor ein und hielt ein paar Vorlesungen mehr als geplant. Er war zudem beschäftigt mit der Abfassung eines Artikels für National Geographic und der Aufstockung seines Weinkellers, weshalb er die eingeschlafene Korrespondenz mit einem Bekannten im elsässischen Riquewihr wieder aufnahm, der als Repräsentant der renommierten Kelterei Hugel & Fils im Besitz gewisser Raritäten war. Einige davon beabsichtigte sich Johanson zum Geburtstag zu schenken. Nebenher hatte er eine 1959er Vinyl-Einspielung des Nibelungenrings von Sir Georg Solti aufgetrieben und begonnen, sich damit die Abende zu verkürzen. Lunds Würmer verkrochen sich unter der vereinten Übermacht von Hugel und Solti in die zweite Reihe, zumal bislang keine weiteren Ergebnisse über sie vorlagen.
    Am neunten Tag nach ihrem Zusammentreffen rief Lund ihn schließlich an, offenbar bester Laune.
    »Du klingst so verdammt ausgelassen«, konstatierte Johanson. »Muss ich mir Sorgen um deine wissenschaftliche Objektivität machen?«
    »Vielleicht«, orakelte sie fröhlich.
    »Erklär dich.«
    »Später. Hör zu, die Thorvaldson wird morgen am Kontinentalrand sein und einen Roboter runterlassen. Hast du Lust dabei zu

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