Der Schwarm
Johanson nüchtern. Du hast sie darin bestärkt, Kare Sverdrup nicht aufzugeben. Auf dich hat sie gehört, sonst wäre sie nicht nach Sveggesundet gefahren.
War er schuld?
Wie hätte er wissen sollen, was geschehen würde? In Stavanger wäre Lund vermutlich auch gestorben. Was, wenn er ihr geraten hätte, die nächste Maschine nach Hawaii zu nehmen oder nach Florenz? Würde er dann jetzt hier sitzen und sich etwas darauf einbilden, Tina Lund gerettet zu haben?
Jeder von ihnen kämpfte gegen seinen persönlichen Dämon. Bohrmann quälte sich mit der Vorstellung, er hätte die Welt früher warnen sollen. Sicher hätte er das. Aber vor was? Vor einer Vermutung? Voreinem ominösen Zeitpunkt? Sie hatten auf Hochtouren daran gearbeitet, Gewissheit zu erlangen. Am Ende waren sie nicht schnell genug gewesen, aber sie hatten es immerhin versucht. Traf Bohrmann eine Schuld?
Und Statoil? Finn Skaugen war tot. Er hatte sich am Hafen Stavangers aufgehalten, als die Welle kam. Mittlerweile sah Johanson den Ölmanager in einem anderen Licht. Skaugen war ein Manipulator gewesen. Er hatte sich darin gefallen, das gute Gewissen einer bösen Branche zu verkörpern, aber hatte er die richtigen Schritte unternommen? Auch Clifford Stone war der Katastrophe zum Opfer gefallen, aber war er wirklich das berechnende Monster gewesen, als das Skaugen ihn gebrandmarkt hatte?
Würmer, Quallen, Wale, Haie.
Intelligente Fische. Allianzen. Strategien.
Johanson dachte an sein zerstörtes Haus in Trondheim. Seltsamerweise bedrückte ihn der Umstand, es verloren zu haben, wenig. Sein wahres Zuhause lag woanders, am Rand des Spiegels, der bei klarer Nacht das Universum in sich trug. Dort hatte er sich selbst erblickt und sich ein Refugium des Schönen und Wahrhaftigen geschaffen. Die Hütte war seine ureigene Schöpfung, die Verkörperung seiner selbst. Sie barg, was in einem Mietshaus niemals hätte heimisch werden können.
Er war nicht mehr dort gewesen seit dem Wochenende mit Tina.
Hatte sich auch dort etwas verändert?
Der See war ein friedliches Gewässer. Dennoch machte ihm der Gedanke zu schaffen. Er würde hinfahren und nachsehen müssen, sobald es ging. Ganz gleich, wie viel Arbeit auf ihn zukam.
Peak rief ein neues Bild auf.
Ein Hummer. Nein, Reste eines Hummers. Das Tier sah aus, als sei es explodiert.
»Hollywood würde es den Boten des Grauens nennen«, sagte Peak mit schiefem Grinsen. »In diesem Fall trifft die Bezeichnung den Nagel auf den Kopf. In Mitteleuropa breitet sich eine Epidemie aus, deren Ursache in Tieren wie diesem steckt. Wir verdanken es Dr. Roche, dass der blinde Passagier weitgehend identifiziert ist. Der Gattung nach handelt es sich um eine einzellige Alge namens Pfiesteria piscicida. Eine von rund 60 bekannten Dinoflagellaten-Spezies, die als toxisch gelten. Pfiesteria ist unter den Killeralgen die schlimmste. Wir haben an der Ostküste der Vereinigten Staaten, insbesondere in den Küstengewässern North Carolinas, schon vor Jahren verheerende Erfahrungendamit gemacht, als Pfiesteria Milliarden Fische tötete. Ihre Kadaver trieben zu Schwärmen an der Wasseroberfläche, mit offenen, angefressenen Wunden. Für die Fischer ein wirtschaftliches Desaster, aber auch ein gesundheitliches. Viele klagten über Bewusstseinsstörungen, bekamen blutige Geschwüre an Armen und Beinen und mussten ihren Job aufgeben. Wissenschaftler, die Pfiesteria untersuchten, erlitten nachhaltige Gesundheitsschäden.« Er ließ eine kurze Pause verstreichen. »1990 reinigte ein Erforscher der Alge, Howard Glasgow, in einem speziell dafür eingerichteten Labor der Universität von North Carolina Aquarien, als plötzlich etwas höchst Absonderliches mit ihm geschah. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, aber sein Körper bewegte sich wie in Zeitlupe. Die Glieder versagten den Dienst. Seine Erkrankung war das erste Indiz dafür, dass Pfiesteria-Toxine auch in die Luft gelangen können, also verfrachtete Glasgow die Organismen in ein gesichertes Labor. Dummerweise hatten Bauarbeiter dort einen Lüftungsschacht verkehrt eingebaut und direkt mit Glasgows Büro verbunden. Er atmete die giftige Luft sechs Monate lang ein, ohne es zu wissen. Seine Kopfschmerzen wurden so stark, dass er kaum in der Lage war zu arbeiten. Sein Gleichgewichtssinn setzte aus. Leber und Nieren begannen sich zu zersetzen. Wenn er mit jemandem telefonierte, wusste er fünf Minuten später nichts mehr davon. Er irrte in der Stadt herum und fand nicht mehr nach Hause,
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