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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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vergaß seine Telefonnummer und seinen Namen. Für die meisten stand fest, dass er entweder an einem Hirntumor litt oder an Alzheimer, aber Glasgow wollte nichts davon hören. Schließlich ließ er sich an der Duke University verschiedenen Tests unterziehen, die in der Tat etwas völlig anderes ergaben – sein Nervensystem war über Monate hinweg einem chemischen Angriff ausgesetzt gewesen. Andere Forscher, die mit Pfiesteria in Kontakt gerieten, erkrankten später an Lungenentzündung und chronischer Bronchitis. Und alle verloren langsam, aber sicher ihr Gedächtnis. Sie verloren es an einen Organismus, der nicht zu begreifen ist.«
    Peak präsentierte eine Reihe elektronenmikroskopischer Aufnahmen. Sie zeigten unterschiedliche Lebensformen. Manche sahen aus wie Amöben mit sternförmigen Auswüchsen, andere glichen schuppigen oder haarigen Kugeln, wieder andere Hamburgern, zwischen deren Hälften sich spiralige Tentakel wanden.
    »Das alles ist Pfiesteria«, sagte Peak. »Die Alge verändert innerhalb von Minuten ihr Aussehen, sie kann auf das Zehnfache anwachsen, sich in Zysten verpuppen, daraus hervorbrechen und von einem harmlosen Einzeller zu einer hochtoxischen Zoospore mutieren. Bis zuvierundzwanzig verschiedene Formen nimmt Pfiesteria an, und jedes Mal verändert sie dabei ihre Eigenschaften. Mittlerweile ist es gelungen, die Toxide zu isolieren. Dr. Roche und sein Team arbeiten auf Hochtouren an der Entschlüsselung, allerdings haben sie es schwerer als die Forscher hierzulande. Das Wesen, das in die Kanalisation gelangte, scheint nämlich gar nicht Pfiesteria piscicida zu sein, sondern eine ungleich gefährlichere Abart. Pfiesteria piscicida heißt in wörtlicher Übersetzung Fisch fressende Pfiesterie. Dr. Roche hat das von ihm entdeckte Exemplar Pfiesteria homicida getauft – Menschen fressende Pfiesterie.«
    Peak erläuterte die Schwierigkeiten, der Alge Herr zu werden. Der neue Organismus schien es darauf anzulegen, sich in Zyklen explosionsartig zu vermehren. Einmal in den Wasserkreislauf geraten, wurde man ihn nicht wieder los. Er sickerte ins Erdreich und sonderte sein Gift ab, das kaum herauszufiltern war. Genau hier lag das Problem. Viele der Opfer wurden von Pfiesteria regelrecht angefressen. Sie bekamen schwärende Wunden am ganzen Körper, die nicht verheilten, sondern sich entzündeten und vereiterten. Aber schlimmer war das Gift. So verzweifelt die Behörden bemüht waren, Kanäle und Wasserleitungen zu reinigen, konnten sie doch nicht verhindern, dass sich der Organismus woanders wieder ausbreitete. Man versuchte ihm mit Hitze und Säuren beizukommen, mit chemischen Keulen, aber natürlich konnte der Sinn solcher Aktionen nicht darin bestehen, ein Übel durch das andere zu ersetzen.
    Von alldem zeigte sich Pfiesteria homicida weitestgehend unbeeindruckt.
    Pfiesteria piscicida hatte das Nervensystem geschädigt. Die neue Art attackierte es mit einer Aggressivität, dass man binnen Stunden gelähmt war, ins Koma fiel und starb. Nur wenige Menschen schienen resistent zu sein. Nachdem Roche den toxischen Code bislang nicht hatte entschlüsseln können, hoffte man auf die Dekodierung dieser Resistenz, doch dem Team lief die Zeit davon. Die Übertragung der Krankheit schien sich jeder Eindämmung entzogen zu haben.
    »Die Alge ist in einem Trojanischen Pferd gekommen«, sagte Peak. »Im Innern von Schalentieren. In Trojanischen Hummern, wenn Sie so wollen, oder besser gesagt in etwas, das nach Hummer aussah. Ganz offenbar lebten die Tiere, als sie gefangen wurden, nur dass ihr Fleisch einer gallertigen Substanz gewichen war. Eingekapselt darin lagerten Kolonien von Pfiesteria. Die Europäische Union hat den Fang und die Ausfuhr von Schalentieren mittlerweile verboten. Im Augenblick beschränken sich Erkrankungen und Todesfälle auf Frankreich, Spanien,Belgien, Holland und Deutschland. Die letzte mir vorliegende Zahl spricht von 14 000 Toten. Auf dem amerikanischen Kontinent scheinen Hummer noch Hummer zu sein, aber auch wir erwägen, den Verkauf von Schalentieren zu untersagen.«
    »Schrecklich«, flüsterte Rubin. »Woher kommen diese Algen?«
    Roche drehte sich zu ihm um.
    »Menschen haben sie gemacht«, sagte er. »Die amerikanische Schweinemast an der Ostküste spült Unmengen von Gülle direkt in die Gewässer, und Pfiesterien gedeihen prächtig in überdüngtem Wasser. Sie nähren sich von Phosphaten und Nitraten, die mit Tierfäkalien auf Feldern ausgebracht werden und in die Flüsse

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