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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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versuchte die Leinen zu kappen, aber es half nichts. Sie mussten die Steinholm verlassen. Innerhalb von zehn Minuten war sie gesunken.«
    »Wir hatten wenig später einen ähnlichen Fall vor Island«, sagte die Ökologin nachdenklich. »Zwei Seeleute ertranken.«
    »Ich weiß. Alles kuriose Einzelfälle, sollte man meinen. Aber wenn wir die Einzelfälle weltweit zusammenrechnen, haben Fischschwärme in den letzten Wochen mehr Boote versenkt als je zuvor. Die einen sagen, Zufall. Die Schwärme kämpfen um ihr Überleben. Andere schauen auf den immer gleichen Ablauf und erkennen eine Art Strategie. Wir schließen nicht aus, dass sich die Tiere fangen lassen, weil sie die Schiffe zum Kentern bringen wollen.«
    »Das ist doch Blödsinn!«, rief ein Vertreter Russlands ungläubig. »Seit wann haben Fische einen Willen?«
    »Seit sie Trawler versenken«, erwiderte Peak knapp. »Im Atlantik tun sie das. Im Pazifik scheinen sie hingegen gelernt zu haben, die Netze zu umschwimmen. Wir haben nicht die geringste Vorstellung davon, wie sie das machen. Es legt den Schluss nahe, dass der Schwarm einen kognitiven Prozess durchläuft und plötzlich weiß, was ein Treibnetz oder ein Ringwadennetz ist und was es mit ihm tut. Aber selbst wenn etwas seine Lernfähigkeit derart heraufgesetzt hätte, müssten die Tiere außerdem einen Blick für die Abmessungen bekommen haben.«
    »Kein Fisch, kein Schwarm sieht ein Netz mit einer Öffnung von 110 Metern Höhe und 140 Metern Breite.«
    »Dennoch scheinen sie die Netze zu erkennen. Die Fischereiflotten jedenfalls beklagen gewaltige Einbußen. Die ganze Nahrungsmittelindustrie ist betroffen.« Peak räusperte sich. »Der zweite Grund für das Verschwinden von Schiffen und Menschen ist hinreichend bekannt. Aber es dauerte eine Weile, bis KH-12 einen solchen Vorgang dokumentieren konnte.«
     
    Anawak starrte auf den Bildschirm. Er wusste, was kam. Er hatte die Bilder schon gesehen und selber Material beigesteuert, aber sie schnürten ihm jedes Mal aufs Neue die Kehle zu.
    Er dachte an Susan Stringer.
    Die Aufnahmen waren so dicht aufeinander geschossen worden, dass sie fast wie eine Filmsequenz abliefen. Auf dem offenen Meer trieb eine Segelyacht von schätzungsweise zwölf Metern Länge. Es war windstill, die See spiegelglatt, das Segel eingeholt. Im Heck saßen zwei Männer, auf dem Vorderdeck lagen Frauen in der Sonne.
    Etwas Großes, Massiges schwamm dicht neben dem Boot vorbei. Jede Einzelheit des riesigen Körpers war deutlich zu erkennen. Es war ein ausgewachsener Buckelwal. Zwei weitere folgten. Ihre Rücken durchbrachen die Wasseroberfläche, und einer der Männer stand auf und zeigte hinaus. Vorn hoben die Frauen die Köpfe.
    »Jetzt«, sagte Peak.
    Die Wale passierten das Boot. Backbord erschien etwas im tiefen Blau und gelangte näher an die Oberfläche. Es war ein weiterer Wal, der senkrecht nach oben schoss. Er stieg aus dem Wasser, die Flipper weit abgespreizt. Die Leute auf dem Boot wandten die Köpfe, verharrten gebannt.
    Der Körper kippte.
    Er schlug quer über das Segelboot und zerschmetterte es in zwei Teile. Trümmer wirbelten umher. Wie Puppen flogen die Menschen durch die Luft. Anawak sah den Mast brechen, dann sprang ein zweiter Wal auf das Wrack. Im Nu hatte sich die Idylle in ein aufgewühltes Inferno verwandelt. Das Boot sank. Bruchstücke trieben verloren in einem sich ausbreitenden Ring aus marmorierter Gischt. Von den Menschen war nichts mehr zu sehen.
    »Die wenigsten hier haben solche Attacken unmittelbar erlebt«, sagte Peak. »Darum die Demonstration. Mittlerweile beschränken sich die Angriffe nicht länger auf Kanada und die Vereinigten Staaten, sondern haben weltweit einen erheblichen Teil der Kleinschifffahrt lahm gelegt.«
    Anawak schloss die Augen.
    Wie musste es von oben ausgesehen haben, als die DHC-2 mit dem Buckelwal kollidiert war? Gab es auch darüber eine geisterhafte Chronik? Er hatte nicht den Mut aufgebracht, danach zu fragen. Die Vorstellung, dass ein teilnahmsloses, gläsernes Auge alles mit angesehen hatte, erschien ihm unerträglich.
    Wie als Antwort auf seine Gedanken sagte Peak:
    »Diese Art der Dokumentation mag Ihnen zynisch erscheinen, ladies and gentlemen. Aber wir sind keine Voyeure. Wo es uns möglich war, haben wir uns um sofortige Hilfe bemüht.« Er hob den Blick vom Bildschirm seines Laptops. Seine Augen waren ausdruckslos. »Leider kommt man in solchen Fällen grundsätzlich zu spät.«
     
    Peak war klar, dass er sich

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