Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
weit. Aber im Internet gibt es Bilder und jede Menge Informationen. Eine schöne Stadt.« Sie lachte. »Ein bisschen größer als Iqaluit, nicht wahr?«
    Er lächelte zurück. »Ja, ich denke schon.«
    »Oh, so klein sind wir allerdings auch nicht mehr. Iqaluit hatimmerhin schon 6000 Einwohner. Und wir arbeiten dran. In wenigen Jahren werden wir so groß sein wie Vancouver. Haha! Na ja, fast so groß. Entschuldigen Sie.«
    Ein Ehepaar war hinter ihm aufgetaucht. Er war doch nicht allein auf seinem Weiterflug. Rasch verabschiedete er sich und ging nach draußen, bevor die Frau auf die Idee kam, ihm die Stadt zu zeigen.
    Iqaluit.
    Seine letzte Erinnerung lag so lange zurück. Einiges schien ihm vertraut, aber das meiste erkannte er nicht wieder. Die Wolken waren in Quebec geblieben, hier stand die Sonne an einem stahlblauen Himmel und sorgte für angenehme Temperaturen. Anawak schätzte, dass es nicht kälter als plus 10° Celsius war. Seine Daunenjacke über dem dicken Pullover war eindeutig zu warm. Er zog sie aus, band sie um die Hüften und stapfte die staubige Straße zum Ortszentrum entlang. Es herrschte erstaunlich viel Verkehr. Er konnte sich nicht erinnern, dass früher auch nur annähernd so viele Geländewagen und ATVs, kleine, mehrachsige Gefährte mit Motorradsitzen, unterwegs gewesen waren. Zu beiden Seiten der Straße lagen die typischen Holzhäuser der Arktis, wegen des Permafrostbodens auf niedrigen Pfählen gebaut. Alle Gebäude der Arktis wurden auf solchen Pfählen errichtet. Hätte man sie direkt auf den Untergrund gesetzt, wäre er durch die abgestrahlte Hitze aufgetaut und abgesackt.
    Je weiter Anawak voranschritt, desto stärker drängte sich ihm das Bild der Hand Gottes auf, wie sie eines Tages einen Haufen Bauwerke durcheinander geschüttelt und planlos verstreut hatte. Grellweiße, kubistisch anmutende Baukolosse ohne Fenster erhoben sich zwischen traditionellen, olivgrün oder rostrot gestrichenen Baracken. Die Schule sah aus wie ein gelandetes Ufo. Manche der Wohnhäuser leuchteten in kräftigem Petrol und Aquamarin. Ein Stück weiter stieß er auf das Commissioner's House, eine Kreuzung aus gemütlicher Gartenvilla und Wohnkuppel für Astronauten. Ganz in der Nähe erhob sich ein elegantes, dreistöckiges Gebäude mit großen Fenstern und einem imposanten Eingang, das in jede Weltstadt gepasst hätte, sah man von den typischen Stelzen und den hoch führenden Treppen ab. Anawak versuchte, die Eindrücke nicht zu sehr an sich heranzulassen, aber seit es ihn halb tot aus einem versinkenden Flugzeug geschwemmt hatte, war ihm die Fähigkeit abhanden gekommen, sich mit Gleichgültigkeit zu betäuben. Die wilde architektonische Mischung vermittelte einen unbekümmerten, beinahe fröhlichen Eindruck, gegen den er tief sitzendes Misstrauen empfand, aber sie ließ ihn nicht unberührt.
    Er fragte sich, was hier geschehen war. Das war nicht das depressive Iqaluit aus den Siebzigern. Menschen grüßten ihn auffallend freundlich auf Inuktitut. Er grüßte zurück, knapp und verschlossen. Ohne stehen zu bleiben, lief er eine Stunde durch die Stadt und ging nur einmal ins Besucherzentrum Unikkaarvik, wo er eine noch gewaltigere Kopie des Trommeltänzers vorfand.
    Der Trommeltänzer. Als er klein gewesen war, hatte es oft Trommeltanz gegeben. Vor langer Zeit, als die Dinge noch in Ordnung waren.
    Unsinn! Wann wäre hier jemals etwas in Ordnung gewesen!
    Er ging zurück auf die Straße und lief weiter, während ihm heiß wurde im kristallenen Sonnenlicht. Die anglikanische Kirche sah tatsächlich aus wie ein Iglu, mit hochgezogener Spitze. Er ließ sie links liegen. Nach einer guten Stunde war er wieder in der Abfertigungshalle des Flughafens und verzog sich mit einer Zeitung auf eine Bank. Außer ihm wartete nur das Ehepaar auf den Weiterflug. Er klappte die Zeitung so auf, dass sie ihn von allen äußeren Einflüssen abschirmte, las die Artikel, ohne ihre Inhalte aufzunehmen, und warf sie schließlich weg.
    Die junge Frau vom Schalter bat sie, ihr zu folgen. Sie traten durch einen Nebenausgang des Flughafens aufs Rollfeld, wo eine kleine zweimotorige Propellermaschine vom Typ Piper wartete. Anawak stieg zusammen mit dem Ehepaar über zwei Stufen ins enge Kabineninnere. Die Maschine hatte nur sechs Plätze. Im hinteren Teil war hinter Netzen das Gepäck verstaut. Eine Abtrennung der Kanzel zum Passagierraum gab es nicht. Sie rollten zur Startbahn und mussten einen Moment warten, bis eine andere Maschine

Weitere Kostenlose Bücher