Der Schwarm
Zugleich muss ich Ihre Hoffnungen auf einen schnellen Erfolg dämpfen. Jeder von Ihnen wird sich in den letzten Wochen über der Frage gegruselt haben, wer eigentlich da unten sitzt und uns die sieben Plagen schickt. Sie kennen die einschlägigen Filme: Unheimliche Begegnung der Dritten Art, E. T., Alien, Independence Day, The Abyss, Contact, und so weiter. Entweder haben wir es darin mit Monstern zu tun oder mit Heiligen. Denken Sie alleine an die Schlusssequenz von Unheimliche Begegnung: Viele Menschen finden Trost in der Vorstellung, dass überlegene Himmelswesen zu ihnen herabsteigen, um sie einer besseren, lichten Zukunft entgegenzuführen. Sollte das irgendjemandem bekannt vorkommen ... Ja, die Sache hat unter der Oberfläche eine religiöse Dimension. Auch SETI hat diese Dimension. Und sie macht uns blind für die schlichte Andersartigkeit fremder Intelligenzen.«
Crowe ließ die Worte einen Moment wirken. Sie hatte lange überlegt, wie sie das Projekt anpacken sollte. Schließlich war sie zu der Überzeugung gelangt, dass es von vorneherein scheitern würde, wenn es ihr nicht gelang, den Teilnehmern der Expedition die Flausen zu nehmen.
»Was ich meine, ist, dass eine seriöse Beschäftigung mit der Andersartigkeit fremder Kulturen in der Science-Fiction so gut wie nicht stattfindet. Tatsächlich tauchen Außerirdische fast immer als ins Groteske übersteigerter Ausdruck menschlicher Hoffnungen und Ängste auf. Die Aliens in Unheimliche Begegnung symbolisieren unsere Sehnsucht nach dem verloren gegangenen Paradies. Im Grunde sind sie Engel, und so verhalten sie sich auch. Einige Auserwählte werden zum Licht geführt. Eine etwaige Kultur dieser Außerirdischen interessiert dabei niemanden. Sie bedienen simpelste religiöse Vorstellungen. Alles an ihnen ist zutiefst menschlich, weil menschgewollt, bis hin zur Dramaturgie ihres Auftretens – weißes, gleißendes Licht, ätherische Erscheinungen, ganz so, wie wir's gerne hätten. – Ebenso wenig sind die Außerirdischen in Independence Day wirklich außerirdisch. Sie sind böse, indem sie unsere Vorstellungen von Bösartigkeit erfüllen. Auchihnen wird keine wirkliche Andersartigkeit zugestanden. Gut und böse sind von Menschen postulierte Werte. Kaum eine Fiktion findet Interesse, die sich darüber hinwegsetzt. Wir tun uns nun mal schwer mit der Vorstellung, dass unsere Werte nicht auch die Werte anderer sein sollen und dass deren Vorstellungen von Gut und Böse vielleicht nicht den unseren entsprechen könnten. Dafür müssen Sie nicht mal in den Weltraum horchen. Jede Nation, jede menschliche Kultur hat ihre eigenen Aliens vor der Haustür, nämlich immer die jenseits der Grenze. -Bevor wir das nicht verinnerlicht haben, werden wir kaum eine Kommunikation mit einer fremden Intelligenz zuwege bringen. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach wird es keine gemeinsame Wertebasis geben, kein universelles Gut und Böse, möglicherweise nicht einmal kompatible Sinnesapparate, über die man sich austauschen könnte.«
Crowe gab den Stapel Kladden an Johanson weiter, der neben ihr saß, und bat darum, die Exemplare zu verteilen.
»Wenn wir beginnen wollen, über wirkliche Kontakte mit Außerirdischen nachzudenken, sollten wir uns vielleicht einen Ameisenstaat vorstellen. Vorweg, Ameisen sind hoch organisiert, nicht wirklich intelligent. Aber unterstellen wir, sie wären es. Dann stünden wir vor der Aufgabe, uns mit einer Kollektivintelligenz auszutauschen, die kranke und verletzte Artgenossen verspeist, ohne es moralisch anfechtbar zu finden, die Kriege führt, ohne unsere Idee von Frieden zu verstehen, für die individuelle Fortpflanzung etwas vollkommen Unerhörtes darstellt und für die der Austausch und Verzehr von Exkrementen zum guten Ton gehört behandelt – kurz, die in jeder Hinsicht vollkommen anders funktioniert, die aber funktioniert! Und nun gehen Sie noch einen Schritt weiter: Stellen Sie sich vor, dass wir eine fremde Intelligenz vielleicht nicht einmal als solche erkennen! Leon hier zum Beispiel würde gerne wissen, ob Delphine intelligent sind, also führt er aufwändige Tests durch, aber gibt ihm das Gewissheit? Und umgekehrt, wie sehen uns die anderen? Die Yrr bekämpfen uns, aber halten sie uns für intelligent? – Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Was immer wir hier tun: Eine Annäherung an die Yrr wird uns nicht gelingen, solange wir unser Werteverständnis als Nabel der Welt und des Universums betrachten. Wir müssen uns auf das
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