Der Schwarm
»Zurückfahren.«
Jetzt erkannte er, wie von oben größere Felsbrocken herabfielen. Lavagestein stürzte auf die Terrasse. Irgendwo in der Schlamm- und Trümmerwolke wand sich kaum noch sichtbar der Schlauch des Saugrüssels.
»Sauger ist ausgeschaltet«, bestätigte van Maarten.
Mit weit aufgerissenen Augen beobachteten sie den Verlauf der Rutschung. Mehr und mehr Gestein prasselte herab. Wenn sich der Effekt in der fast senkrechten Wand des Vulkankegels fortsetzte, würden sich immer größere Brocken lösen. Vulkangestein war porös. Aus einer kleinen Rutschung würde in Minutenschnelle eine große werden, und am Ende würde genau das eintreffen, was sie zu verhindern gesucht hatten.
Wir sollten uns in Gelassenheit fügen, dachte Bohrmann. Um zu fliehen, ist es ohnehin zu spät.
Ein sechshundert Meter hoher Wasserberg ...
Das Geprassel hörte auf.
Lange Zeit sagte niemand etwas. Sie hielten ihre Blicke nur stumm auf die Monitore geheftet. Über der Terrasse stand eine diffuse Wolke, die das Licht der Halogenlampen streute und zurückwarf.
»Es hat aufgehört«, sagte van Maarten mit unmerklich zitternder Stimme.
»Ja.« Bohrmann nickte. »Sieht so aus.«
Van Maarten rief die Piloten.
»Die Lichtinsel hat ordentlich gewackelt«, meldete das Beleuchterteam. »Ein Spot ist ausgefallen. Macht sich allerdings nicht bemerkbar, wenn man's nicht weiß.«
»Und der Rüssel?«
»Scheint festzuhängen«, war der Bescheid aus dem anderen Kran. »Die Systeme erhalten nach wie vor ihre Befehle, aber sie sind offenbar nicht in der Lage, sie auszuführen.«
»Schätze, der Schlund ist unter Trümmern verschüttet«, mutmaßte der andere Pilot.
»Wie viel kann da draufgefallen sein?«, fragte van Maarten leise.
»Erst muss sich die Wolke setzen«, erwiderte Bohrmann. »Sieht so aus, als seien wir mit einem blauen Auge davongekommen.«
»Gut. Dann müssen wir warten.« Van Maarten sprach ins Mikrophon. »Keine weiteren Versuche, den Rüssel frei zu bekommen. Kaffeepause. Ich will da unten keine unnötigen Erschütterungen. Wir warten eine Weile und sehen dann weiter.«
Drei Stunden später sahen sie weiter. Stellenweise zwar nur wenige Meter, denn das Sediment hatte sich immer noch nicht vollständig abgesetzt, aber die Mündung des Rüssels war einigermaßen gut zu erkennen. Inzwischen hatte sich auch Frost wieder eingefunden. Sein Haar stand in Korkenzieherlocken nach allen Himmelsrichtungen ab.
»Hat sich böse verkeilt«, konstatierte van Maarten.
»Ja.« Frost kratzte sich den Schädel. »Aber kaputt sieht er nicht aus.«
»Die Motoren sind blockiert.«
»Und wie kriegen wir ihn wieder frei?«
»Wir können einen Roboter runterschicken, der das Zeug beiseite räumt«, schlug Bohrmann vor.
»Heiliger Zorn Gottes und aller Engel!«, zeterte Frost. »Das kostet uns elend viel Zeit. Wo's gerade so gut lief.«
»Wir müssen uns halt beeilen.« Bohrmann wandte den Kopf zu van Maarten. »Wie schnell können wir Rambo klarmachen?«
»Sofort.«
»Dann los. Versuchen wir's.«
Rambo verdankte seinen Namen ganz unwissenschaftlich den Filmen mit Sylvester Stallone. Das ROV sah aus wie eine kleinere Version des Victor 6000, verfügte über vier Kameras, diverse Heck- und Seitenstrahler zur Stabilisierung und zwei überaus kräftige, gelenkige Greif arme. Das Gerät taugte nur für Tiefen bis 800 Meter, war jedoch in der Offshore-Szene sehr beliebt. Innerhalb einer Viertelstunde war Rambo einsatzbereit. Kurze Zeit später schwebte er am Vulkankegel entlang nach unten auf die Terrasse zu, über ein elektrooptisches Kabel mit dem Pilotenstand auf der Heerema verbunden. Die Lichtinsel kam in Sicht. Der Roboter sank weiter, nahm Fahrt auf und manövrierte zu dem eingeklemmten Saugschlund. Aus der Nähe war deutlich zu erkennen, dass die Motoren und Videosysteme des Rüssels intakt waren, allerdings hatten sich einige Brocken des Vulkangesteins so unglücklich verkeilt, dass er hoffnungslos feststeckte.
Rambos Greifarme begannen, die Brocken abzuräumen. Zu Anfangsah es so aus, als könne der Roboter den Rüssel freibekommen. Er trug die Trümmer nacheinander ab, bis er an einen schräg stehenden Zacken geriet, der sich ins Terrassensediment gebohrt hatte und den Rüssel gegen einen Felsvorsprung drückte. Die Arme fuhren aus und ein, drehten sich, versuchten den Zacken zu lösen. Es war illusorisch.
»Das schafft kein Automat«, beschied Bohrmann. »Er kann keinen Impuls entwickeln.«
»Na wunderbar«,
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