Der Schwarm
Lebens. Im Ozean ist das nicht anders als an Land. Mikroorganismen sind die beherrschende Lebensform der Meere.Diese Gallerte in unserem Tank ist mit Sicherheit älter und vielleicht auch klüger als wir, ob Ihnen das nun passt oder nicht.«
»Sie können ein menschliches Wesen nicht mit einer Mikrobe vergleichen«, knurrte Buchanan. »Ein Mensch hat eine andere Bedeutung. Wenn Sie das nicht begreifen, wofür stehen Sie dann eigentlich ein in diesem Team?«
»Dafür, das Richtige zu tun!«
»Sie verraten die Sache der Menschheit doch schon mit Worten.«
»Nein, der Mensch verrät die Sache der Welt, indem er ein Missverhältnis schafft zwischen den Lebensformen und ihrer Bedeutung. Er ist die einzige Spezies, die das tut. Wir werten. Es gibt böse Tiere, wichtige Tiere, nützliche Tiere. Wir beurteilen die Natur nach dem, was wir sehen, aber wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt, dem wir übersteigerte Bedeutung beimessen. Unsere Wahrnehmung ist auf große Tiere und auf Wirbeltiere ausgerichtet, und hauptsächlich auf uns selber. Also sehen wir überall Wirbeltiere. Tatsächlich liegt die Gesamtzahl der wissenschaftlich beschriebenen Wirbeltierarten bei knapp 43 000, darunter mehr als 6000 Reptilienarten, zirka 10 000 Vogelarten und rund 4000 Säugetierarten. Demgegenüber sind bis heute fast eine Million Wirbellose beschrieben worden, darunter alleine 290000 Käferarten, die damit schon mal alle Wirbeltierarten um das Siebenfache übertreffen.«
Peak sah Buchanan an. »Sie hat Recht, Craig«, sagte er. »Nimm es zur Kenntnis. Sie haben beide Recht.«
»Wir sind nicht erfolgreich«, sagte Crowe. »Wenn Sie Erfolge sehen wollen, betrachten Sie die Haie. Sie existieren in unveränderter Form seit dem Devon, seit 400 Millionen Jahren. Sie sind hundertmal älter als jeder Urahne des Menschen, und es gibt 350 Arten. Aber möglicherweise sind die Yrr noch älter. Wenn es Einzeller sind, und wenn sie einen Trick gefunden haben, im Kollektiv zu denken, sind sie uns eine Ewigkeit voraus. Diesen Vorsprung können wir nie einholen. Allenfalls können wir sie töten. – Aber wollen Sie das riskieren? Wissen wir, welche Bedeutung sie für unsere Existenz haben? – Vielleicht können wir ja mit diesem Feind ebenso wenig leben wie ohne ihn.«
»Sie wollen amerikanische Werte verteidigen, Jude?« Johanson schüttelte den Kopf. »Dann werden wir scheitern.«
»Was haben Sie gegen amerikanische Werte?«
»Nichts. Aber Sie haben doch gehört, was Crowe sagt: Intelligente Lebensformen auf anderen Planeten sind vielleicht wedermenschenähnlich noch säugetierähnlich, vielleicht basieren sie nicht mal auf der DNA, also wird ihr Wertesystem ein völlig anderes sein als unseres. Was glauben Sie, welchem moralischen und sozialen Modell Sie da unten begegnen werden, in der Tiefsee? Bei einer Rasse, deren Kultur möglicherweise auf Zellteilung und kollektiver Aufopferung besteht. Wie wollen Sie zu einer Verständigung gelangen, wenn Sie einzig die Wahrung von Werten im Auge haben, auf die sich nicht mal die Menschen verständigen können?«
»Sie schätzen mich falsch ein«, sagte Li. »Mir ist schon klar, dass wir die Moral nicht gepachtet haben. Die Frage ist: Müssen wir um jeden Preis verstehen, wie die anderen denken? Oder ist es nicht besser, einfach alle Kraft in den Versuch einer Koexistenz zu investieren?«
»Innerhalb derer jeder den anderen in Frieden lässt?«
»Ja.«
»Späte Einsicht, Jude«, sagte Johanson. »Ich denke, die Ureinwohner Amerikas, Australiens, Afrikas und der Arktis hätten Ihren Standpunkt begrüßt. Diverse Tierarten, die wir ausgerottet haben, ebenfalls. Fest steht, dass die Situation viel komplizierter ist. Wir werden kaum verstehen können, wie die anderen denken. Trotzdem müssen wir den Versuch wagen, weil wir einander schon zu sehr in die Quere gekommen sind. Unser gemeinsamer Lebensraum ist zu eng geworden für ein Leben nebeneinander, es bleibt uns nur ein Miteinander. Das funktioniert einzig und alleine, wenn wir unsere vermeintlich gottgegebenen Ansprüche weit zurückschrauben.«
»Und wie soll das Ihrer Meinung nach aussehen? Indem wir uns die Lebensgewohnheiten von Einzellern zu Eigen machen?«
»Natürlich nicht. Es wäre uns genetisch gar nicht möglich. Selbst was wir als Kultur bezeichnen, ist unseren Genen eingegeben. Die kulturelle Evolution beginnt in prähistorischen Zeiten, da wurden in unseren Köpfen die Weichen gestellt. Kultur ist biologisch, oder wollen wir
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