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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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vielleicht sogar genetisch festgelegt.«
    »Ihr redet von Naturvölkern. Ich rede von Stadtmenschen.«
    »Okay.« Anawak überlegte einen Moment. »Hast du eine Phobie? Irgendwas, das sich als Phobie bezeichnen ließe?«
    »Na ja, nicht unbedingt eine Phobie ...«, begann Vanderbilt.
    »Einen Abscheu?«
    »Ja.«
    »Wovor?«
    »Gott, es ist nicht sonderlich originell. Hat wahrscheinlich jeder. Vor Spinnen. Ich hasse die Biester.«
    »Warum?«
    »Weil ...« Vanderbilt zuckte die Achseln. »Sie sind halt ekelhaft. Findest du nicht, dass sie ekelhaft sind?«
    »Nein, aber darum geht's nicht. Der Punkt ist, dass die Hauptursachen für Phobien in unserer zivilisierten Welt fast immer Gefahren sind, die uns drohten, bevor wir in Städten lebten. Wir entwickeln Phobien gegen lastende Felswände, Gewitter, reißende Gewässer, undurchdringliche Wasseroberflächen, gegen Schlangen, Hunde und Spinnen. Warum nicht gegen Stromkabel, Revolver, Schnappmesser, Autos, Sprengstoff und Steckdosen, die allesamt viel gefährlicher sind? Weil unserem Hirn eine Regel eingeprägt ist: Vor schlangenförmigen Objekten und Wesen mit vielen Beinen musst du auf der Hut sein.«
    »Das menschliche Hirn hat sich in einer natürlichen Umgebung entwickelt, nicht in einer maschinellen«, sagte Delaware. »Unsere geistige Evolution vollzog sich über zwei Millionen Jahre in denkbar engstem Kontakt zur Natur. Vielleicht haben sich die Überlebensregeln dieser Zeit sogar genetisch eingeprägt, jedenfalls spielte sich lediglich ein winziger Bruchteil unserer Evolutionsgeschichte in der so genannten Zivilisation ab. Glaubst du wirklich, bloß weil dein Vater und dein Großvater ausschließlich in Städten gelebt haben, seien damit all die archaischen Informationen in deinem Hirn ausgelöscht? Warum fürchten wir uns vor kleinen, im Gras kriechenden Tieren, warum ekelst du dich vor Spinnen? Weil wir dieser Furcht im Verlauf der Menschheitsentwicklung das Leben verdanken. Weil Menschen, die furchtsamer sind als andere, seltener in Gefahr geraten und mehr Nachkommen zeugen können. Das ist es. Habe ich Recht, Jack?«
    Vanderbilt sah von Delaware zu Anawak.
    »Und was hat das mit den Yrr zu tun?«, fragte er.
    »Es hat was damit zu tun, dass sie vielleicht aussehen wie Spinnen«, erwiderte Anawak. »Huh! Also erzähl uns nichts von Objektivität. Solange wir uns vor den Yrr ekeln, wie immer sie aussehen mögen, vor einer Gallerte, vor Einzellern und giftigen Krebsen, werden wir nichts über ihr Denken erfahren, weil wir es gar nicht können. Wir werden nur daran interessiert sein, das Andersartige zu vernichten, damit es nachts nicht in unsere Höhle kriechen und unsere Kinder rauben kann.«
     
    Ein Stück abseits stand Johanson in der Dunkelheit und versuchte, sich an die Einzelheiten der letzten Nacht zu erinnern, als Li zu ihm trat. Sie reichte ihm ein Glas. Es war Rotwein darin.
    »Ich dachte, wir bleiben alkoholfrei«, wunderte sich Johanson.
    »Bleiben wir auch.« Sie stieß mit ihm an. »Aber nicht dogmatisch. Außerdem nehme ich Rücksicht auf die Vorlieben meiner Gäste.«
    Johanson kostete. Der Wein war gut. Er war sogar erlesen.
    »Was sind Sie eigentlich für ein Mensch, General?«, fragte er.
    »Nennen Sie mich Jude. Jeder tut das, der nicht vor mir strammstehen muss.«
    »Ich werde nicht schlau aus Ihnen, Jude.«
    »Wo liegt das Problem?«
    »Ich traue Ihnen nicht.«
    Li lächelte amüsiert und trank.
    »Das beruht auf Gegenseitigkeit, Sigur. Was war los mit Ihnen gestern Nacht? Sie wollen mir weismachen, dass Sie sich an nichts erinnern?«
    »Ich erinnere mich an gar nichts.«
    »Was wollten Sie so spät auf dem Hangardeck?«
    »Ausspannen.«
    »Mit Oliviera waren Sie auch ausspannen.«
    »Ja, das muss hin und wieder sein, wenn man viel arbeitet.«
    »Mhm.« Li blickte an ihm vorbei aufs Meer. »Wissen Sie noch, worüber Sie gesprochen haben?«
    »Über unsere Arbeit.«
    »Sonst nichts?«
    Johanson sah sie an. »Was wollen Sie eigentlich, Jude?«
    »Diese Krise meistern. Und Sie?«
    »Ich weiß nicht, ob ich es auf dieselbe Art und Weise will wie Sie«,sagte Johanson nach einigem Zögern. »Was soll übrig bleiben, wenn die Krise gemeistert ist?«
    »Unsere Werte. Die Werte unserer Gesellschaft.«
    »Meinen Sie die menschliche Gesellschaft? Oder die amerikanische?«
    Sie wandte ihm den Kopf zu. Die blauen Augen in ihrem schönen asiatischen Gesicht schienen zu leuchten.
    »Ist das ein Unterschied?«
     
    Crowe hatte sich in Rage geredet,

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