Der Schwarm
plauderten sie über alles Mögliche, tranken Wein und aßen Seezunge, die hervorragend war. Nach einer Weile driftete die Unterhaltung wieder in Richtung Tiefsee.Beim Dessert fragte Bohrmann wie beiläufig:
»Sind Sie eigentlich mit den Plänen von Statoil näher vertraut?«
»Nur im Groben«, erwiderte Johanson. »Ich verstehe nicht übermäßig viel vom Ölgeschäft.«
»Was planen die? Eine Plattform werden sie ja kaum bauen so weit draußen.«
»Nein. Keine Plattform.«
Bohrmann nippte an seinem Espresso.
»Entschuldigen Sie, ich will nicht in Sie dringen. Ich weiß nicht, wie vertraulich diese Dinge sind, aber ...«
»Das geht schon in Ordnung. Ich bin als Plaudertasche bekannt. Wenn mir einer was anvertraut, kann es gar nicht geheim sein.«
Bohrmann lachte.
»Also, was glauben Sie, bauen die da draußen?«
»Sie machen sich Gedanken über eine Unterwasserlösung. Eine vollautomatische Fabrik.«
»So was wie Subsis?«
»Was ist Subsis?«
»Subsea Separation and Injection System. Eine Unterwasserfabrik. Sie arbeitet seit wenigen Jahren auf dem Trollfeld in der norwegischen Rinne.«
»Nie davon gehört.«
»Fragen Sie Ihre Auftraggeber. Subsis ist eine Förderstation. Sie steht in 350 Meter Tiefe auf dem Meeresboden und trennt dort Öl und Gas vom Wasser. Augenblicklich findet dieser Prozess noch auf den Plattformen statt, und das Produktionswasser wird ins Meer geleitet.«
»Ach stimmt!« Lund hatte darauf angespielt. »Produktionswasser. Es gibt dieses Problem, dass die Fische unfruchtbar werden.«
»Eben dieses Problem könnte Subsis lösen. Das schmutzige Wasser wird sofort wieder ins Bohrloch gepresst, drückt weiteres Öl nach oben, wird wieder davon getrennt, wieder nach unten gepresst et cetera. Öl und Gas gelangen durch Pipelines direkt zur Küste – an sich eine feine Sache.«
»Aber?«
»Ich weiß nicht, ob's ein Aber gibt. Angeblich arbeitet Subsis problemlos in fünfzehnhundert Meter Tiefe. Der Hersteller meint, zweitausend wären auch kein Problem, und die Ölkonzerne wünschen sich fünftausend.«
»Ist das realistisch?«
»Mittelfristig schon. Ich glaube, alles, was im kleinen Maßstabfunktioniert, klappt auch im großen, und die Vorteile liegen auf der Hand. Sehr bald schon werden die automatischen Fabriken die Plattformen abgelöst haben.«
»Sie scheinen die allgemeine Euphorie nicht recht zu teilen«, bemerkte Johanson.
Eine Pause entstand. Bohrmann kratzte sich am Hinterkopf. Er sah aus, als wisse er nicht recht, wie er darauf antworten solle.
»Was mir Sorgen macht, ist weniger die Fabrik. Es ist die Naivität der ganzen Herangehensweise.«
»Die Station ist ferngesteuert?«
»Komplett. Vom Land aus.«
»Das heißt, etwaige Reparaturen und Wartungsarbeiten übernehmen Roboter.«
Bohrmann nickte.
»Verstehe«, sagte Johanson nach einer Weile.
»Die Sache hat ein Für und Wider«, sagte Bohrmann. »Wenn Sie in unbekanntes Gebiet vordringen, ist das immer riskant. Und die Tiefsee ist unbekanntes Gebiet, machen wir uns nichts vor. Insofern ist es richtig, dass wir versuchen, unsere Einsatzmittel zu automatisieren, anstatt Menschenleben zu gefährden. Es ist in Ordnung, wenn wir einen Tauchroboter runterschicken, um Vorgänge zu beobachten oder ein paar Proben zu entnehmen. Aber das hier ist etwas anderes. Wie wollen Sie einen Unfall, bei dem Öl unter Hochdruck aus dem Bohrloch schießt, in fünftausend Meter Tiefe wieder unter Kontrolle bringen? Sie kennen ja nicht mal wirklich das Terrain. Alles, was Sie kennen, sind Messungen. In der Tiefsee sind wir blind. Wir können mit Hilfe von Satelliten, mit Fächersonar oder seismischen Wellen eine Karte der Meeresbodenmorphologie anlegen, die bis auf den halben Meter genau ist. Wir detektieren Gas- und Ölvorkommen mit bodensimulierenden Reflektoren, sodass die Karte hinterher sagt, hier kannst du bohren, hier ist Öl, da sind Hydrate, und da drüben musst du aufpassen ... Aber was da unten ist – wirklich ist! –, wissen wir trotzdem nicht.«
»Meine Rede«, murmelte Johanson.
»Wir sehen die Auswirkungen unseres Tuns nicht. Wir können nicht einfach mal runterflitzen, wenn die Fabrik Mist baut. Missverstehen Sie mich nicht, ich bin keineswegs gegen die Rohstoffförderung. Aber ich bin dagegen, Fehler zu wiederholen. Als der Ölboom losging, hat man sich keine Gedanken darüber gemacht, wie man den ganzen Schrott wieder entsorgt bekommt, den man da so lustig ins Meer gestellt hatte. Man hat Abwässer und
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