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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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Lebewesen am Meeresboden starben, vornehmlich Einzeller. Ganze Bereiche der Tiefsee verwandelten sichvorübergehend in lebensfeindliche Zonen. Auf den Kontinenten kam es umgekehrt zu einer biologischen Revolution. In der Arktis tauchten Krokodile auf, und aus subtropischen Breiten wanderten Primaten und moderne Säugetiere nach Nordamerika ein. Ein phänomenales Durcheinander.«
    »Woher wissen Sie das alles?«
    »Bohrkerne. Das ganze Wissen um die Klimakatastrophe verdanken wir einem Bohrkern aus zwei Kilometer Meerestiefe.«
    »Verrät der Kern auch etwas über die Ursachen?«
    »Methan«, sagte Bohrmann. »Das Meer muss sich zu dieser Zeit erwärmt haben, sodass größere Mengen Methanhydrat instabil wurden. Als Folge rutschten die Kontinentalhänge ab und legten weitere Methanvorkommen frei. Innerhalb weniger Jahrtausende, vielleicht Jahrhunderte entwichen Milliarden Tonnen Gas in Ozean und Atmosphäre. Ein Teufelskreis. Methan fördert den Treibhauseffekt dreißig Mal stärker als CO 2 . Es heizte die Atmosphäre auf, dadurch erhitzten sich wiederum die Ozeane, noch mehr Hydrate zerfielen, das Ganze setzte sich endlos fort. Die Erde verwandelte sich in einen Backofen.« Bohrmann sah ihn an. »Fünfzehn Grad warmes Tiefenwasser anstelle unserer heutigen zwei bis vier Grad, das ist schon was.«
    »Für die einen desaströs, für die anderen ... na ja, ein Warmstart gewissermaßen. Verstehe. Im nächsten Kapitel unserer gepflegten kleinen Unterhaltung werden wir dann wohl den Untergang der Menschheit verinhaltlichen, richtig?«
    Sahling lächelte.
    »So schnell steht der nicht bevor. Aber es gibt tatsächlich Anzeichen, dass wir uns in einer Phase empfindlicher Gleichgewichtsschwankungen befinden. Die Hydratreserven in den Ozeanen sind äußerst labil. Das ist der Grund, warum wir Ihrem Wurm so viel Beachtung schenken.«
    »Was kann ein Wurm an den Stabilitätsverhältnissen von Methanhydraten ändern?«
    »Eigentlich nichts. Der Eiswurm bevölkert die Oberfläche mehrere hundert Meter dicker Eisschichten. Er schmilzt ein paar Zentimeter ein und begnügt sich mit Bakterien.«
    »Aber dieser Wurm hat Kiefer.«
    »Dieser Wurm ist ein Geschöpf, das keinen Sinn ergibt. Am besten, Sie schauen es sich an.«
    Sie traten zu einem halbrunden Steuerpult am Ende der Halle. Es erinnerte Johanson an die Kommandozentrale des Victor, nur um einigesgrößer. Die meisten der rund zwei Dutzend Monitore waren eingeschaltet und zeigten Aufnahmen aus dem Innern des Tanks. Ein diensthabender Techniker grüßte sie.
    »Wir beobachten das Geschehen simultan mit zweiundzwanzig Kameras, außerdem wird jeder Kubikzentimeter pausenlosen Messungen unterworfen«, erklärte Bohrmann. »Die weißen Flächen auf den Monitoren der oberen Reihe sind Hydrate. Sehen Sie? Hier links ist das Feld, auf dem wir zwei der Polychäten abgesetzt haben. Das war gestern Vormittag.«
    Johanson kniff die Augen zusammen.
    »Ich sehe nur das Eis«, sagte er.
    »Schauen Sie genauer hin.«
    Johanson studierte jede Einzelheit des Bildes. Plötzlich fielen ihm zwei dunkle Flecken auf. Er zeigte darauf.
    »Was ist das? Vertiefungen?«
    Sahling wechselte ein paar Worte mit dem Techniker. Das Bild veränderte sich. Plötzlich waren die beiden Würmer zu sehen.
    »Die Flecken sind Löcher«, sagte Sahling. »Wir spielen den Film im Zeitraffer ab.«
    Johanson sah zu, wie sich die Würmer zuckend über das Eis wanden. Eine Weile krochen sie hin und her, als versuchten sie, die Quelle eines Dufts zu erwittern. In der beschleunigten Darstellung wirkten ihre Bewegungen fremdartig und bizarr. Die borstigen Büschel beiderseits der rosa Körper zitterten wie elektrisiert.
    »Jetzt passen Sie auf!«
    Einer der Würmer war zum Stillstand gekommen. Pulsierende Wellen durchliefen seinen Körper.
    Dann verschwand er im Eis.
    Johanson pfiff leise durch die Zähne.
    »Alle Wetter. Er bohrt sich hinein.«
    Das zweite Tier lag immer noch ein Stück entfernt. Der Kopf bewegte sich wie im Takt zu einer unhörbaren Musik. Plötzlich schoss der Rüssel mit den Chitinkiefern hervor.
    »Sie fressen sich ins Eis«, rief Johanson.
    Er starrte wie paralysiert auf das Videobild. Was wunderst du dich, dachte er im selben Moment. Sie leben in Symbiose mit Bakterien, die Methanhydrat abbauen, und dennoch haben sie Kiefer zum Bohren.
    Das Ganze ließ nur einen Schluss zu. Die Würmer wollten an Bakterien, die tiefer im Eis saßen. Gespannt sah er zu, wie sich die borstigen Körper ins Hydrat wühlten.

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