Der Schwarm
Pullover ....« Johanson fuhr sich über den Bart. »Einiges habe ich auch im Haus.«
»Mhm. Weil man ja nie weiß.«
»Richtig. Man weiß ja nie.«
Er sah sie an. Dann musste er lachen.
»Okay, Frau Kompliziert. Letzte Mitfahrgelegenheit.«
»Ich und kompliziert?« Lund riss die Beifahrertür auf und grinste. »Das werden wir auf der Fahrt ausdiskutieren.«
Als sie den unbefestigten Weg zur Hütte erreichten, war es bereits dunkel, und der Jeep rumpelte unter den Scherenschnitten der Bäume hindurch zum Ufer. Vor ihnen lag der See wie ein zweiter, in Wälder gebetteter Himmel. Die Oberfläche war voller Sterne, wo die Wolken sich auseinander geschoben hatten, während es unten in Trondheim wahrscheinlich immer noch regnete.
Johanson brachte den Koffer ins Haus und trat neben Lund auf die Veranda. Die Bohlen knarrten leise. Jedes Mal aufs Neue fühlte er sich ergriffen von der Stille, die umso offenbarer wurde, weil sie voller Geräusche war: Rascheln, Zirpen und leises Knacken, der ferne Schrei eines Vogels, Bewegungen im Unterholz, Undeutbares. Eine kurze Verandatreppe führte auf eine Wiese, die zum Wasser hin sanft abfiel. Von dort erstreckte sich ein windschiefer Landungssteg. Das Boot am Ende, mit dem er manchmal zum Angeln hinausfuhr, lag reglos da.
Lund sah hinaus.
»Und das hast du alles für dich alleine?«, fragte sie.
»Meistens.«
Sie schwieg eine Weile.
»Du musst ziemlich gut mit dir selber klarkommen, schätze ich.«
Johanson lachte leise. »Wieso glaubst du das?«
»Wenn du hier niemanden findest außer dich selber ... ich meine, deine Gesellschaft muss dir angenehm sein.«
»Oh ja. Ich kann hier draußen mit mir umspringen, wie ich will. Mich mögen, mich verabscheuen ...«
Sie wandte ihm den Kopf zu.
»So was kommt vor? Dass du dich verabscheust?«
»Selten. Und wenn, verabscheue ich mich dafür. Komm rein. Ich mache uns einen Risotto.«
Sie gingen hinein.
Johanson schnitt Zwiebeln in der kleinen Küche, dünstete sie in Olivenöl an und gab Riso di Carnaroli dazu, den venezianischen Risottoreis. Er wendete die Reiskörner mit einem Holzlöffel, bis sie sämtlichvon Öl überzogen waren, goss kochenden Geflügelfond an und rührte weiter, damit die Masse nicht anbrannte. Zwischendurch schnitt er Steinpilze in Streifen, erhitzte sie in Butter und ließ sie auf kleiner Flamme brutzeln.
Lund sah fasziniert zu. Johanson wusste, dass sie nicht kochen konnte. Sie brachte die Geduld nicht auf. Er entkorkte eine Flasche Rotwein, dekantierte ihn und füllte zwei Gläser. Das übliche Procedere. Es funktionierte immer. Es wurde gegessen, getrunken, geredet, zusammengerückt. Es folgte, was eben folgte, wenn ein alternder Bohemien und eine junge Frau an einen einsamen, romantischen Ort fuhren.
Verdammte Automatismen!
Warum zum Teufel hatte sie mitkommen wollen?
Er hätte einiges darum gegeben, den Dingen an diesem Abend einfach ihren Lauf zu lassen. Lund saß am Küchenblock, trug einen seiner Pullover und wirkte so entspannt wie seit langem nicht mehr. Ihre Gesichtszüge hatten etwas ungewohnt Weiches angenommen. Johanson war irritiert. Er hatte sich oft einzureden versucht, dass sie eigentlich nicht sein Typ war, zu hektisch, zu nordisch mit ihren glatten, weißblonden Haaren und Augenbrauen. Jetzt musste er sich eingestehen, dass nichts von alledem zutraf.
Du hättest ein schönes, ruhiges Wochenende verbringen können, dachte er. Aber du wolltest es ja unbedingt kompliziert haben, Idiot.
Sie aßen in der Küche. Lund wurde mit jedem Glas ausgelassener. Sie alberten herum und öffneten eine weitere Flasche.
Um Mitternacht sagte Johanson:
»Es ist nicht wirklich kalt draußen. Lust auf eine Bootstour?«
Sie stützte das Kinn in die Hände und grinste ihn an.
»Mit Schwimmen?«
»Würde ich an deiner Stelle bleiben lassen. Vielleicht in ein bis zwei Monaten. Dann ist es hier wärmer. Nein, wir fahren in die Mitte des Sees, nehmen die Flasche mit und ...«
Er machte eine Pause.
»Und?«
»Gucken uns die Sterne an.«
Ihre Blicke blieben aneinander hängen. Jeder auf seiner Seite des Küchenblocks, die Arme aufgestützt, sahen sie einander an, und Johanson fühlte, wie sein innerer Widerstand zusammenbrach. Er hörte sich Dinge sagen, die er nicht hatte sagen wollen, sah sich sämtliche Register ziehen und die notwendigen Hebel und Schalter betätigen, um die Maschinerie in Gang zu setzen. Er weckte Erwartungen, bestärkte sichund Lund darin, zu tun, weswegen man nun mal
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