Der Schwarm
auch in seinen las: Wie viel haben wir vermasselt? Kaputtgemacht? Für immer versaut?
»Alles okay?«, fragte er.
Lund antwortete nicht. Er setzte sich vor sie hin, mit dem Rücken zur Bootswand. Dann fiel ihm auf, dass er die Flasche noch umklammert hielt, und er reichte sie ihr.
»Offenbar«, sagte er, »ist unsere Freundschaft zu stark für die Liebe.«
Er wusste, dass es platt und pathetisch klang, aber es verfehlte seine Wirkung nicht. Sie begann zu kichern, nervös zuerst, dann offensichtlich erleichtert. Griff nach der Flasche, nahm einen langen Schluck und lachte laut auf. Fuhr sich durchs Gesicht, als wollte sie dieses laute, unpassende Lachen wegwischen, aber es drang weiterhin dumpf zwischen ihren Fingern hindurch, und Johanson lachte schließlich mit.
»Puh«, machte sie.
Dann schwiegen sie eine ganze Weile.
»Bist du sauer?«, fragte sie schließlich leise.
»Nein. Du?«
»Ich ... nein, ich bin nicht sauer. Überhaupt nicht. Es ist nur ....« Sie stockte. »Es ist alles so wirr. Auf der Thorvaldson, weißt du, der Abend in deiner Kabine. Eine Minute länger, und ... ich meine, es hätte passieren können, aber heute ...«
Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und trank.
»Nein«, sagte er. »Seien wir ehrlich, es wäre ebenso ausgegangen. Ganz genauso wie gerade.«
»Woran liegt's?«
»Du liebst ihn.«
Lund schlang die Arme um ihre Knie. »Kare?«
»Wen sonst?«
Sie starrte vor sich hin, eine ganze Zeit lang, und Johanson formte die Lippen wieder um den Flaschenhals, weil es nicht seine Aufgabe war, Tina Lund ihre Gefühle zu erklären.
»Ich dachte, ich kann dem entkommen, Sigur.«
Pause. Wenn sie eine Antwort erwartet, dachte er, wird sie lange warten müssen. Sie wird es von selber kapieren müssen.
»Wir waren immer mal wieder so weit, du und ich«, sagte sie nach einer Weile. »Keiner von uns wollte sich binden, eigentlich ideale Voraussetzungen. – Aber wir haben die Option nie eingelöst. – Ich hattezu keiner Zeit das Gefühl, es muss jetzt unbedingt sein, ich ... ich war nie in dich verliebt. Ich wollte nie verliebt sein. Aber die Vorstellung, dass es irgendwann passiert, hatte ihren Reiz. Jeder lebt weiter sein Leben, keine Verpflichtung, keine Bindung. Ich war sogar überzeugt, dass es bald passieren würde, ich fand, dass es fällig war! – Und plötzlich kommt Kare daher, und ich denke: Mein Gott, das ist verbindlich! Alles oder nichts. Liebe ist verbindlich, und das hier ist....«
»Das ist Liebe.«
»Ich dachte eher, es ist was anderes. Wie Grippe. Ich konnte mich nicht mehr vernünftig auf meinen Job konzentrieren, ich war in Gedanken ständig woanders, ich hatte einfach das Gefühl, mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen, und das passt nicht in mein Leben, das bin nicht ich.«
»Und da hast du gedacht, bevor du die Kontrolle verlierst, löst du endlich die Option ein.«
»Du bist ja doch sauer!«
»Ich bin nicht sauer. Ich verstehe dich. Ich war auch nie in dich verliebt.« Er überlegte. »Begehrt habe ich dich. Übrigens erst richtig, seit du mit Kare zusammen bist. Aber ich bin ein alter Jäger, ich glaube, es war einfach ärgerlich, dass mir da einer die Beute streitig machte, es hat mich gefuchst und in meiner Eitelkeit gekränkt ....« Er lachte leise. »Kennst du diesen wunderbaren Film mit Cher und Nicolas Cage? Mondsüchtig. Jemand fragt, warum wollen Männer mit Frauen schlafen? Und die Antwort ist: Weil sie Angst vor dem Tod haben. Mhm. Wie komme ich jetzt darauf?«
»Weil alles mit Angst zu tun hat. Angst vor dem Alleinsein, Angst davor, nicht gefragt zu sein – aber schlimmer ist die Angst, wählen zu können und dich falsch zu entscheiden. So, dass du aus der Nummer nicht mehr rauskommst. Du und ich, wir würden nie etwas anderes als ein Verhältnis haben, und mit Kare ... mit Kare könnte ich nie etwas anderes haben als eine Beziehung. Es brauchte nicht viel, dass mir das klar wurde. Du willst jemanden, den du eigentlich gar nicht kennst, du willst ihn um jeden Preis. Du bekommst ihn aber nur, wenn du sein Leben mitkaufst. Und plötzlich wirst du misstrauisch.«
»Es könnte sich als Fehler herausstellen.«
Sie nickte.
»Warst du eigentlich je mit einem zusammen?«, fragte er. »So richtig, meine ich.«
»Einmal«, erwiderte sie. »Ist schon was her.«
»Dein Erster?«
»Mhm.«
»Was ist passiert?«
»Es ist unoriginell, was passierte. Wirklich. Ich würde gerne mit was Wuchtigem aufwarten, aber Tatsache ist, dass er irgendwann
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