Der schwarze Kanal
macht sich die Politik daran, Europa zu retten, und wenn es so läuft wie immer, dann stehen am Ende zwei Dinge fest: Es wird alles noch schlimmer als erwartet. Und die Kanzlerin hat es mal wieder vermasselt. Darauf können sich bislang noch alle einigen, die sich um den Fortbestand des Euro sorgen.
Nun ist es das vornehme Recht von Journalisten und anderen Meinungskundigen, es besser zu wissen, das macht ja einen der großen Vorteile dieses Berufsstandes aus. Aber sollte man nicht an irgendeinem Punkt auch einmal sagen, wie es denn besser ginge – respektive welche Lösung im Rückblick besser gewesen wäre? Das ist der eklatante Mangel an der Merkel-Kritik: Man findet in ihr immer in kraftvollen Worten dargelegt, dass die Kanzlerin alles falsch macht, aber kaum ein Wort zur richtigen Alternative.
Das fängt mit der Frage an, wen man sich denn an ihrer Stelle wünschen sollte. Wer glaubt ernsthaft, wir stünden heute besser da, wenn der brave Frank-Walter Steinmeier mit dem französischen Staatspräsidenten die Details zur Euro-Rettung aushandeln müsste? Oder der lustige Herr Gabriel? Oder ein Kanzler Steinbrück, der den Nachbarn schon mal mit der deutschen Kavallerie droht? Der Mann neigt, wie wir wissen, zu Temperamentsausbrüchen, das muss in schwierigen Situationen nicht immer von Vorteil sein.
Sehen wir uns die Merkel-Kritik genauer an: Die Kanzlerin habe durch ihr Zögern und Zaudern in der Krise die Dinge verschlimmert, heißt es, erst ihre Politik des Neinsagens habe die Lage eskalieren lassen. Damit kann ja nur gemeint sein, dass sie nicht gleich zu Beginn der Krise alle Zweifel an der Bonität unserer südeuropäischen Nachbarn mit der Zusage ausgeräumt hat, bei Kreditausfällen mit deutschem Geld einzuspringen. Eine solche Garantie hätte die Anleger zweifellos beruhigt, die sich nun zu Recht fragen, ob sie nicht irgendwann Lire oder Peseten zurückbekommen, wenn sie Italien oder Spanien weiter Euro leihen. Der Nachteil einer solch frühen Selbstverpflichtung zur unbegrenzten Schuldenhaftung ist allerdings ebenso evident: Fortan hätte sich kein Schuldenstaat mehr veranlasst gesehen, zu einer nachhaltigeren Form des Wirtschaftens zurückzukehren; aus einer bedingungslosen Haftungsübernahme für Griechenland hätten nicht nur die Investoren ihre Schlüsse gezogen.
Ohne die Deutschen wird es keine Lösung der Krise geben, darüber besteht Einigkeit. Sie sind die Einzigen mit einem Volksvermögen, das groß genug ist, um von den Anlegern als Pfand beim Kauf risikobehafteterer Staats-anleihen akzeptiert zu werden. Alle starren jetzt auf das deutsche Sparschweinchen in der Mitte des Tisches und verlangen, dass es zur Rettung des Euro geopfert wird. Die Frage ist nicht mehr, ob es so kommen wird (es wird passieren, auf die eine oder andere Weise), die Frage ist allein, zu welchen Bedingungen. Soll man der Kanzlerin in dieser Situation wirklich vorwerfen, dass sie gern an den europäischen Verträgen noch ein paar Änderungen durchgesetzt hätte, die im deutschen Interesse liegen, bevor sie ihr Einverständnis zu einer Vergemeinschaftung der Schulden im Euro-Raum gibt? Vielleicht bleibt ihr nicht mehr genug Zeit, weil den Italienern zu schnell das Geld ausgeht, das mag sein. Aber das hat dann nichts damit zu tun, dass sie nicht schnell genug das Geld der Deutschen herausgerückt hat.
Der andere Großvorwurf an die Kanzlerin lautet, sie mache die Deutschen durch ihre Halsstarrigkeit in Europa unbeliebt. Das Argument läuft immer, da ziehen alle in der politischen Klasse sofort die Köpfe ein. Altkanzler Helmut Schmidt verglich die Bundesregierung schon mit der deutschen Regierung unter Kaiser Wilhelm am Beginn des Ersten Weltkriegs («der Wahn der Deutschen, sich aufzuspielen, macht mir wirklich Sorgen»), was zeigt, dass kein historischer Vergleich zu groß geraten kann, um die Bundesbürger zur Herausgabe ihrer Spargroschen zu pressen. Wenn nichts anderes mehr hilft, dann kommt verlässlich der Hinweis auf die deutsche Vergangenheit, das war schon vor 20 Jahren so, als es um die Einführung des Euro ging.
Kein französischer Politiker käme je auf die Idee, sich dafür zu schämen, dass er die eigenen Interessen im Blick behält, wenn er zu Verhandlungen mit seinem deutschen Widerpart zusammentrifft. Bei den Briten ist es seit langem ein beliebter Zeitvertreib, die anderen Europäer vor den Kopf zu stoßen, indem man ihnen erklärt, warum die Aufgabe nationaler Souveränitätsrechte eine
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