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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Fleischhauer
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Schnapsidee sei. Es wird ein ewiges Geheimnis bleiben, warum wir uns jetzt ausgerechnet vor der britischen Boulevardpresse fürchten sollen, die wegen ihrer Abhörmethoden eben noch als die verkommenste ihrer Art gegeißelt wurde. Aber irgendwie ist für die Deutschen auch 66 Jahre nach Kriegsende immer ein Sünderbänkchen reserviert, auf dem sie ganz stille sitzen müssen, wenn es um die Verteilung von Geld und Macht in Europa geht.
    Metaphysische Kategorien sind für Letztbegründungsargumente in politischen Angelegenheiten denkbar schlecht geeignet, das gilt erst recht für historische Schuld. Wer glaubt, dass Leute sich besonders solidarisch verhalten, wenn man ihnen zuvor ein ordentlich schlechtes Gewissen macht, versteht entweder nichts von der Natur des Menschen – oder er sieht bewusst von den psychologischen Grundlagen ab, weil ihm kein rationales Argument mehr einfällt. Für die Einigung Europas war die Erinnerung an zwei Weltkriege zweifellos konstitutiv, aber für eine Umschuldungspolitik, wie sie jetzt ins Auge gefasst wird, reicht die moralische Nötigung nicht mehr aus. Der britische Historiker Niall Ferguson hat kürzlich ausgerechnet, dass sich die Nettozahlungen der Bundesbürger zwischen 1958 und 1992 auf mehr als 162 Milliarden D-Mark beliefen, hinzu kamen 379 Milliarden D-Mark an sogenannten «Transferleistungen ohne Gegenleistungen». Das entspricht zusammengenommen etwa dem, was den Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg an Reparationszahlungen aufgebürdet wurde. Man mag es ihnen also nachsehen, wenn sie finden, sie hätten ihre finanzielle Bringschuld erbracht.
    Es ist erstaunlich, mit welcher Nonchalance die Euro-Pathetiker über das Pekuniäre hinwegsehen. Schmidt folgert aus der Tatsache, dass Deutschland immer schon ein Nettozahler in Europa war, dass es keinen Grund gebe, sich nun bei einem weit größeren Lastenausgleich anzustellen. Ganz ähnlich liest es sich bei Jürgen Habermas, dem anderen Anti-Merkelianer, der gern in Stellung gebracht wird, wenn es um alternative Vorschläge zur Lösung der Euro-Krise geht. Möglicherweise muss man in einem gewissen Alter sein, um die Dinge so gelassen zu sehen beziehungsweise einen Großteil der Rente schon verzehrt haben. «Ja tatsächlich, es soll kleine Leute geben, die sich schon genug geschröpft fühlen und Angst haben vor Währungskalamitäten», hat Rudolf Augstein in einem Kommentar im Sommer 1995 anlässlich der Auseinandersetzung um die Maastricht-Verträge angemerkt. Und er fügte hinzu: «Schmidt spricht als Mitglied einer privilegierten und geschützten Klasse, der er aufgrund seiner Verdienste mit Recht angehört.» Dieser Satz besitzt auch 17 Jahre später durchaus noch Gültigkeit, wie man sieht.

[zur Inhaltsübersicht]
Vorwärts, Migrant!
    Es gibt Entscheidungen im politischen Geschäft, die nicht die Beachtung finden, die ihnen zusteht. Das gilt selbst für Beschlüsse, die weit in die Zukunft reichen, weil anderes gerade wichtiger scheint oder die öffentliche Wahrnehmung beherrscht. Beim letztjährigen SPD -Parteitag in Berlin hat neben der Steuerdiskussion nur der Schaulauf der drei möglichen Spitzenkandidaten Aufsehen erregt. Dabei schlug die deutsche Sozialdemokratie, von einem größeren Publikum weitgehend unbemerkt, ein neues Kapitel in der Gleichberechtigung auf. Neben der Frauenquote, die noch einmal verschärft wurde, gibt es jetzt auch eine Quote für Ausländer: 15 Prozent der Führungskräfte in der Bundespartei müssen künftig einen Migrationshintergrund haben, so hat es der Parteitag mehrheitlich beschlossen.
    Die SPD hat sich schon immer als Motor gesellschaftlicher Entwicklungen verstanden. Weil sie gleichzeitig eine Partei ist, die es nicht bei Proklamationen belässt, wurde noch an Ort und Stelle mit der Wahl von Aydan Özoguz die Quote bei den Stellvertretern des Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel erfüllt. Im Parteivorstand gibt es seitdem auch einen Beauftragten «für die interkulturelle Öffnung der Partei», der die entsprechenden Gremien «regelmäßig» über die erzielten Fortschritte informieren und ihnen «Handlungsempfehlungen für die weitere Öffnung» an die Hand geben wird. «Wir bleiben nicht nur unter uns, sondern lassen uns bereichern», heißt es in einer Art Selbstverpflichtung, die von den Delegierten in Berlin mit großer Mehrheit angenommen wurde. «Das bedeutet auch, offen für unterschiedliche Meinungen und Verhaltensweisen zu sein. Das halten wir nicht nur aus, sondern das

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