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Der schwarze Kanal

Der schwarze Kanal

Titel: Der schwarze Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Fleischhauer
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die sich über Widerspruch freuen, ja, diesen geradezu herausfordern. «Natürlich wieder großer Unsinn, was Du geschrieben hast, aber sehr lustig», lautet eine typische Aufmunterungs-Mail von ihm.
    Als ich mit dem «Schwarzen Kanal» anfing, hatte ich Angst, mir würden die Themen ausgehen. Man will sich ja nicht ständig wiederholen. Wie sich herausstellte, waren meine Sorgen umsonst. Vor ein paar Jahren hat der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurter ein Buch vorgelegt, das der Frage nachgeht, warum es so viel Bullshit in der Welt gibt. 27 Wochen hielt sich seine Abhandlung auf der Bestsellerliste der «New York Times», was zeigt, dass die Frage offenbar eine Menge Menschen bewegt. Leider gibt es für Bullshit kein gutes deutsches Wort. Humbug wäre eines, aber es trifft nicht wirklich das Wesen dieser nahezu allgegenwärtigen Form des Blödsinns. Das politische Leben ist eine schier unerschöpfliche Quelle von Bullshit. In kaum einem anderen Berufsfeld trifft man so viele Menschen, die mit todernster Miene den größten Schmonzes von sich geben, obwohl man meinen sollte, sie müssten sofort in schallendes Gelächter ausbrechen.
    Eindeutig bullshitfördernd ist dabei die Tendenz, aus jeder politischen Entscheidung eine moralische Frage zu machen. Politik bedeutet zunächst die Abwägung von Interessen, nicht von moralischen Gütern, aber das gerät im modernen Vollzug oft in Vergessenheit. Wo alles zu einer Wahl zwischen Gut und Böse gerät, kann es nicht ausbleiben, dass die Proportionen verschwimmen und der Realitätsbezug leidet. So kommt es, dass wegen fünf Euro Hartz IV die soziale Eiszeit droht und eine stümperhafte Doktorarbeit das Land gleich auf den Weg in «eine andere Republik» führt. Ein Nebeneffekt der Moralisierung von Politik ist der völlige Verlust von Ironie. Tatsächlich ist das Moralische dezidiert ironiefeindlich, da sich in der Ironie eine Distanz verrät, die antipathetisch wirkt. Ohne Pathos aber ist Moral nicht zu haben, schon gar nicht die «Moralhypertrophie» (Arnold Gehlen) der politisch motivierten Gesinnungsethik.
    Es gibt bessere und schlechtere Tage für einen politischen Kolumnisten. Am schönsten sind natürlich die Wochen, in denen sich das Land in einen kollektiven Erregungszustand hineinredet (haben wir wirklich über zwei Monate mit der Wulff-Affäre zugebracht?). Aber auch in den eher flauen fällt genug ab. Versuchen Sie mal, einem Außenstehenden zu erklären, warum wir Deutsche kein Problem haben, uns mit anderen nackt in die Sauna zu setzen, aber sofort unsere Privatsphäre verletzt sehen, wenn jemand unser Haus fotografiert. Das Land steckt voller Widersprüche.
    Keine Frage, es gäbe genug Gründe, sich nicht nur über die linke Seite des politischen Spektrums lustig zu machen. Auch die Konservativen haben ihre Obsessionen, die aufzuspießen sich lohnt. Mein Eindruck ist nur: Dies Geschäft besorgen schon genug Leute. Wo ist der Witz, als zweiundachtzigste Stimme in den Guttenberg-Verdammungschor einzufallen? Wenn mir eines an der Linken immer gefallen hat, dann ist es ihr Eintreten für Minderheiten. In diesem Sinn ließe sich also sagen: Der «Schwarze Kanal» steht verlässlich auf Seite derjenigen, auf die das Schwert der öffentlichen Meinung niedergeht, ohne dass sich eine Hand zu ihrer Verteidigung rührt. Der Kollege Alan Posener von der «Welt» hat mir kürzlich vorgehalten, ich würde ja nur die «Süddeutsche Zeitung» lesen und dann einfach das Gegenteil behaupten. Wenn es bloß so einfach wäre. Unvorhersehbarkeit beweist sich nicht nur, indem man laufend seine Meinung wechselt; manchmal kann die Originalität gerade darin bestehen, dass man seinem Standpunkt treu bleibt. Außerdem gibt es wirklich schwierige Mandanten. Rupert Murdoch war kein einfacher Fall, wie ich in aller Bescheidenheit sagen darf, und auch der Freiherr zu Guttenberg hat es einem im letzten Jahr nicht immer leichtgemacht.
    Wenn ich die Haltung beschreiben sollte, aus der heraus die in diesem Band versammelten Kolumnen entstanden sind, dann würde ich sie als heiteren Pessimismus bezeichnen. Ich bin nicht der Meinung, dass die Linken an allem Schuld sind (außer vielleicht am Verfall der Tischmanieren, den trage ich ihnen wirklich nach). Ich glaube auch nicht, dass unser Land dem Untergang geweiht ist, wenn sie wieder die Macht übernehmen sollten, wie ich überhaupt ziemlich immun gegen Untergangsängste bin. Ob die Welt danach allerdings ein besserer Platz wäre, wie

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