Der schwarze Krieger
Valentinian. «Sie tragen ein Wams aus dem Pelz von Feldmäusen, nicht wahr?»
«Nein, nicht aus dem Pelz von Feldmäusen», erwiderte Galla in einem seltsamen, nüchternen Tonfall. «Sie tragen Rüstungen aus gegerbtem Leder. Manchmal auch die Häute von Wölfen, welche die Jungen im Alter von zwölf Jahren als Initiationsritus in der Wildnis erlegen müssen. Ganz allein, nur mit einem Speer bewaffnet.»
«Warum erzählst du mir das?», fragte Valentinian. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Sie schien gar nicht auf ihn zu achten und blickte nachdenklich ins Leere.
Valentinian spürte, wie in ihm Ärger über seine Mutter aufwallte, was bei ihm häufig vorkam. Sie war so … überheblich. Woher wusste sie all das? Und überhaupt: Wer war hier eigentlich der Kaiser!
«Es ist das gefährlichste aller Barbarenvölker», sagte sie.
«Sie haben drei Jahrzehnte lang glücklich und zufrieden an der Grenze zu unserem Reich gelebt, ohne in irgendeiner Weise aufzubegehren!», schrie Valentinian. «Wahrscheinlich als nützliche Barriere zwischen uns und einer Menge weit üblerer Gesellen da draußen in Skythien. Die Hunnen sind nicht unsere Feinde.»
«Sie sind es jetzt.»
***
Attila lehnte sich zurück und ließ alles, was seine Spione ihm berichtet hatten, noch einmal Revue passieren. Seine Augen blitzten hellwach und belustigt auf. Dann lachte er, ein kurzes, scharfes Bellen.
Wie viele Schwachstellen! Wie viele Lücken in Roms angeblich undurchdringlicher Panzerung!
Galla war noch immer am Leben und damit die entscheidendemächtige Gestalt im westlichen Reich. Dieses kalte, grünäugige Monster, die Qual und Folter seiner Knabenjahre – sie hatte ihn wie eine Schmeißfliege durch ganz Italien gejagt und hätte ihn bedenkenlos wie eine Ratte getötet. Doch jetzt würde er zurückkehren, der kleine Rattenjunge, den sie so gern zertreten hätte. Der kleine Schädling. Er würde zurückkehren, und sie würde zittern, wenn er ihr in die Augen schaute. In seine Augen, die entsetzliche Dinge gesehen hatten … Die entkräfteten römischen Legionen würden seiner Armee von Kriegern kaum standhalten und sich gegen sie zur Wehr setzen können.
Sie sollte mit ansehen, wie ihre Welt in Flammen unterging! Die grünen Weinberge an der Mosel, die Weizenfelder Galliens, die sonnenbeschienenen Olivenhaine der Toskana – alles zu Staub zertrampelt. Die Villen der Reichen in Kampanien, niedergebrannt, nur noch rauchende Ruinen. Die stolzen Paläste und Tempel Roms, die ehrfurchtgebietenden Gerichtshöfe, die Kirchen und Kathedralen der Christen, alle dem Erdboden gleichgemacht, alles nur noch tonfarbene, lehmige Erde, so wie ihre Mutter Erde, die von den Christen so grausam verhöhnt wurde. Gallas geliebtes Reich – von den Pferden der Hunnen zu Tode getrampelt.
Wie viel Genugtuung steckte darin, zu wissen, dass sie noch lebte, die kalte, grünäugige Frau! Jetzt würde sie noch miterleben, wie ihr Schicksal sich erfüllte und ihr Reich unterging. Oh, wie süß und beruhigend, das zu wissen.
Zudem war ihre Tochter eine Hure! Attila warf den Kopf in den Nacken und lachte erneut. Gallas Sohn war der Kaiser des Westreichs, aber um keinen Deut klüger als sein Onkel. Auch im Osten konnte Theodosius seinem Vorgänger Theodosius dem Großen nicht das Wasser reichen. Ihm war die Kalligraphie wichtiger als der Krieg.
Wie viele Armeen würden sich gegenüberstehen? Das Heer des Westreichs verfügte noch immer über hundertachtzig Regimenter im Feld, das Ostreich über weitere hundertfünfzig. Und der Mann, der sie kommandierte, war alles andere als ein Narr.
Attilas Lächeln verschwand.
Aëtius. Fast unbewusst hatte Attila vermieden, an ihn zu denken. Er wollte nicht, dass dieser Name auf der Liste seiner Feinde stand. Alle anderen würde er zu Fall bringen und mit Freuden verschlingen, so wie ein Löwe eine Antilope, doch Aëtius … Ein Mann, der es wert war, getötet zu werden – und verschont zu bleiben.
«Was ist mit seiner Familie?», fuhr Attila die um ihn versammelten Spione an. Er wandte sich einer Frau zu, die gerade aus Ravenna zurückgekehrt war.
Sie sah ihn fragend an.
«Aëtius!», herrschte er sie an. «Der General!»
Sie schüttelte den Kopf. «Er hat nie geheiratet.»
Attila schaute verwundert drein.
«Es heißt, er liebe noch immer Athenais, die Kaiserin», sagte die Frau.
«Was hat das damit zu tun? Will er keine Söhne?»
Sie zuckte mit den Schultern. Sie verstand es selbst auch
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