Der schwarze Krieger
zuvor gesehen hatte. Von einem plötzlichen Aberglauben gepackt, brachte er es sofort zu Attila. Der König zögerte nicht lange: Er schwang die Waffe ein paarmal über seinem Kopf hin und her und erklärte dann, Sawaschs Schwert sei gefunden worden.
Nur einer in der jubelnden Menge teilte die allgemeine Begeisterung nicht, sondern starrte stumm auf das Schwert. Sein sonst so undurchschaubares Gesicht war von Entsetzen gezeichnet. Es war Orestes, der Grieche. Er allein erkannte, dass das Schwert, das der König hoch über seinem Kopf hielt, kein anderes als jenes war, das ein römischer General mit Namen Stilicho einst dem Knaben Attila geschenkt hatte.
Was ging hier vor sich? Einfach ein zynischer Akt?Täuschte hier ein gerissener, prinzipienloser Herrscher sein eigenes Volk? Flunkerte er ihm etwas von einem magischen «Götterschwert» vor, das in Wirklichkeit aus irgendeinem kaiserlichen Waffenarsenal in Italien stammte, dem Stammland ihrer Feinde?
Aber nein. So einfach war es nicht. Der schockierte Ausdruck auf Orestes’ Zügen wich allmählicher Zustimmung.
Attila gefiel sich häufig darin, den geheimnisvollen Reim zu murmeln: «Ob Ehrgeiz in die Schlacht uns treibt, ob Blutrausch oder Gier/mit eignem Staub geschliffen wie ein Diamant, das sind wir.»
Orestes verstand seinen alten Blutsbruder jetzt nur zu gut.
***
Attila ernannte sich selbst zum Tanjou aller Hunnen, von der Donau bis zur Chinesischen Mauer. Er bekam Perlen aus Indien, Seide aus dem Fernen Osten und Felle vom Balkan als Tribut. Spätabends, wenn seine Leute feierten, erhob er sich von der Festtafel und verkündete, dass ihre Herrschaft sich bald über die ganze Welt ausdehnen würde. Sie glaubten ihm.
Ein großer Holzaltar wurde errichtet, hoch wie der Königspalast. Viele Tiere wurden geopfert, der Altar war über und über besprenkelt mit dem Blut und dem Fett von Schafen und Rindern und Pferden.
In den darauffolgenden Tagen, nachdem die Neuigkeit sich über die Ebenen von Skythien hinweg nach Osten verbreitet hatte, kamen viele von weit her angereist, um ihm Ehrerbietung entgegenzubringen: unbedeutende Fürsten, Herrscher über kleine, verstreute Stämme Weißer Hunnenvon der Küste des Kaspischen Meeres, krummbeinige Häuptlinge der Hephthaliten aus dem Gebiet des Aralsees. Sogar von noch weiter östlich kamen welche, die kaum mehr wie Hunnen aussahen und auf den ersten Blick eher wie Banditen denn wie Könige gekleidet waren. Sie kamen auf ihren kräftigen kleinen Pferden von den üppigen grünen Weiden zu Füßen der Tien-Shan-Berge angeritten und warfen sich vor König Attila nieder. Gleich darauf standen sie wieder auf und nahmen ihn wie einen lang vermissten Freund in den Arm. Die gleiche ehrerbietige Begrüßung wurde ihm durch jene Wüstenhunnen zuteil, die von südlich des heiligen Altai-Gebirges kamen und aus der endlosen Taklamakan-Wüste.
Die Herzen seiner Männer schlugen schneller vor Freude, als sie sahen, wie bekannt und beliebt ihr König bei all diesen in weite Ferne hinausgezogenen Hunnen war. Erstmals dachten sie darüber nach, wo er während seines Exils wohl überall gewesen war, was für Qualen er erlitten und welche Heldentaten er vollbracht haben musste, um die Herzen so vieler Menschen zu gewinnen. Ein richtiger Held aus den Volksmythen. Wie Tarkan selbst, als er seine Sieben Pflichten erfüllte, um die Hand der schönen Tochter des Tanjou vom Baikalsee zu erringen, deren Schönheit bis dahin jeden anderen Bewerber in einen Pfeiler aus Sandstein verwandelt hatte.
Attila empfing sie huldvoll und zeigte ihnen das magische Schwert, vor dem sie auf die Knie fielen, um es schweigend und ehrfürchtig zu küssen. Noch beeindruckender war das Gebaren jener Männer, die das Schwert in der Hand hielten. Diese zähen Stammesfürsten aus den Ebenen, den Bergen und Wüsten wussten ganz genau, dass jeder Scharlatan ein Schwert über seinem Kopf kreisen lassen und behaupten konnte, dies sei das Schwert von Sawasch. Aber hier gab es keinen Scharlatan. Hier war ein Mann, der eine solche Machtausstrahlte, dass sie diese bis auf die Knochen fühlen konnten, während sie vor ihm standen, als wären sie selbst von einem Krankheitskeim befallen. Dies war kein Geringerer als der fast schon zur Legende gewordene Sohn von Mundschuk, der, wie immer erzählt worden war, weit in den Osten hinein ins Exil geschickt worden war. Und nun stand er vor ihnen, der selbsternannte König, dessen königliche Aura auch die kleinen Fürsten
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