Der schwarze Krieger
nicht.
Attila lehnte sich zurück und überlegte. Der ehrbare Liebhaber. Der ehrbare Soldat. Der letzte Römer, der seinen Respekt verdiente. Sein Freund aus Kindertagen. Sein größter Feind. Sein Schatten, seine Nemesis.
«Wo ist er jetzt?»
«Am Hof der Visigoten, dem Hof von König Theoderich in Tolosa. Er hat wieder einmal Kaiser Valentinian mit ein paar offenen Worten beleidigt.»
Attila deutete ein Lächeln an. «Ich fürchte, Valentinian wird bald noch viel schlimmer beleidigt werden. Und dann wird er Aëtius brauchen.»
Doch er verstand nur zu gut, weshalb Aëtius ins Exil gegangen war.
Dass der feige Kaiser Valentinian solch einem Mann nur Misstrauen und dunklen Groll entgegenbrachte, verwunderte ihn nicht. Generäle wie Aëtius schienen unweigerlich die Kaiserwürde anzustreben, dachte man gemeinhin. Daher trafen in ermüdender Regelmäßigkeit Nachrichten in Aëtius’ Zelt im Feldlager ein: Es gebe eine Verschwörung gegen ihn, er müsse fliehen, um sein Leben zu retten. Manchmal kamen die Nachrichten von Galla Placidia selbst, munkelte man. Also begab er sich ins Exil, an den Hof der Franken, der Burgunder oder der Goten, gegen die er sein ganzes Leben gekämpft hatte. Jene hünenhaften, bulligen germanischen Krieger mit ihren roten Gesichtern, die ihn stets wie einen Bruder willkommen hießen, ihm einen Becher mit schäumendem Bier in die Hand drückten und ihn drängten, doch für immer zu bleiben, mit ihnen gegen Rom zu ziehen und es einzunehmen. Er würde sein Bier schlürfen, ihnen für die Gastfreundschaft danken und nichts mehr sagen. Wenn sie ihn dann auslachten, lächelte er nur. Irgendwann kam die Nachricht, dass der kaiserliche Hof ihm verziehen hatte, welches fabelhafte Verbrechen er auch begangen haben mochte. Daraufhin bestieg er sein Pferd, verabschiedete sich von seinen großmütigen Gastgebern und ritt ohne Eskorte zurück nach Süden. Ohne ein Wort des Vorwurfs übernahm er wieder den Befehl über die Armee des Westreichs.
Das also war aus dem Jungen mit den blauen Augen geworden. Ein richtiger Mann. Wie genau Attila sich an ihn erinnerte, als er feierlich im hüfthohen Gras der Steppe stand,damals, als er ihn zum ersten Mal sah. Den großen, stolzen Jungen mit den schlanken Gliedern, der seine früheste Jugend im fremden Lager der Hunnen verbrachte, so wie Attila die seine in Rom verbracht hatte. Wenn sie in jenen nicht enden wollenden Sommertagen zusammen in die Ebenen Skythiens hinausritten, lag das ganze Leben, ja die ganze Welt hell und licht vor ihnen.
Mürrisch entließ Attila seine Spione.
Das Gesicht unter seinen Händen verborgen, versank er in Erinnerungen. Wie sie eines Tages ausgeritten waren, er und Aëtius und ihre beiden Sklavenjungen, nur zu viert, und einen riesigen Eber erlegt hatten, den sie den ganzen Weg zurück ins Lager schleifen mussten! Nun aber erfuhr er, dass auch Aëtius einen großen Teil seines Erwachsenenlebens im Exil verbracht hatte, getrennt von seinen Leuten.
Die Freude war gänzlich aus seinen Augen gewichen, die ganze zynische Belustigung über die Absurdität der Welt. Bestimmt hatte all dies seine Bedeutung, und es lag ihm ein Muster zugrunde; der Stückeschreiber der Welt bevorzugte offenbar Tragödien.
Traurigkeit füllte seine Augen, als wäre er ein alter Mann.
Er sah den römischen Jungen mit den schlanken Gliedern vor sich, der die Hand an den Schwertgriff gelegt und einen Schritt nach vorn gemacht hatte, als Ruga ihm ins Gesicht geschlagen hatte. Er hätte sein Schwert gezogen, um Attila zu verteidigen. Zur Strafe mussten die beiden die ganze Nacht auf einem Karren liegen, gefesselt. Sie hatten gelacht, gezittert und die Schakale in die Flucht geschrien …
Aëtius.
Oh, ihr Götter. Ihr Götter!
Zweiter Teil
Die Zusammenführung der Stämme
1.
Sawaschs Schwert und die Stammeskönige
Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Steppenbrand von der Donau bis zu den Ufern des Aralsees: Sawaschs Schwert war gefunden worden!
Sawasch war für die Hunnen der Gott des Krieges, und die Legende besagte: Wer sein Schwert findet, wird die ganze Welt beherrschen.
Die Geschichte von diesem Fund war reichlich merkwürdig.
Weit draußen in der Steppe bemerkte ein Hirte, dass eines seiner Tiere sich am Huf verletzt hatte. Im Gras verfolgte er die Blutspur zurück, bis er vor einem wunderschönen Schwert stand, das halb vergraben im Sand lag. Feinstes Schmiedehandwerk, eine leicht gebogene, spitz zulaufende Klinge, wie er sie noch nie
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