Der schwarze Krieger
Aber nichts folgte mehr.
Als der Morgen dämmerte, trat Attila vor die anderen und verkündete eine letzte Entscheidung. Seine Söhne Dengizek und Ellak würden nun doch nicht mitgehen. Die beiden Jungen ließen tief enttäuscht die Köpfe sinken. Sie standen draußen vor dem Palast, als Königin Checa selbst zwischen ihren Söhnen auftauchte. Sie war erstaunlich klein in ihrem langen wattierten Kleid, die Haare streng zurückgebunden. Sie schaute über die versammelten Truppen, nickte und lächelte ihr starres Lächeln. Ihr Blick begegnete dem ihres Mannes, dann drehte er den Kopf weg.
Er gab Befehl, dass die Pferde sich in einer Reihe aufstellen sollten, und ritt zusammen mit seinen Auserwählten an die Spitze des Zuges. Frauen stürmten nach vorn, um die Köpfe der Schlachtrösser mit Milch einzureiben, was Glück bringen sollte. Manche weinten. Andere sagten ihren Männern, sie sollten viele Skalps mit nach Hause bringen. Kinder sprangen aufgeregt lachend umher, wedelten mit Grasbüscheln, schüttelten ihre kleinen Holzrasseln oder warfen lange Schilfrohre wie Speere aus.
Ein leichter Herbstregen fiel, als sie sich auf den Weg machten.
Nach etwa einer halben Meile kam Kleiner Vogel an die Seite des Königs herangaloppiert. «Also reitet Ihr heute ohne Eure beiden Söhne?»
Attila knirschte mit den Zähnen, ohne etwas zu erwidern.
«Was pflegt man in Rom zu sagen? Mir fällt da ein Witz ein, den Orestes mir erzählt hat. Ein Witz, der unter diesen mächtigen weißhaarigen Senatoren die Runde macht. ‹Rom regiert die Welt. Wir regieren Rom. Und unsere Frauen regieren uns.›» Kleiner Vogel schien ernsthaft in Gedanken versunken. «Glaubt Ihr, großer Tanjou, mein allmächtiger Herrscher und Meister, dass dies tatsächlich nur in Rom der Fall ist? Ist dem nicht in allen Ländern und Königreichen der Welt so?»
Attila schwieg einen langen Moment. Dann befahl er Kleiner Vogel, mit den anderen Frauen ins Lager zurückzukehren. Kleiner Vogel lachte, wendete sein Pferd und verschwand in den Weiten der Ebene.
***
Nachdem sie fortgezogen waren, schien es so, als wäre jedes Leben mit ihnen gegangen und die Feuerstelle im Lager für immer ihrer Flammen beraubt.
Innerhalb kürzester Zeit bewahrheiteten sich die düsteren Vorahnungen der Stammesältesten. Mit dem Ende des Sommers war es auch mit der Fruchtbarkeit vorbei, der Tierbestand dünnte sich aus, und der Wind blies mit jedem Tag stärker. Dann kamen die Krankheiten. Die Räude ging um, befiel erst die Esel, dann die Pferde und drohte schließlich auf die Menschen überzugreifen. Die Rinder an den Wasserläufen torkelten und konnten sich kaum mehr auf den Beinen halten. Sogar die Schafe und Ziegen, die widerstandsfähigsten allerTiere, wurden von Läusen gequält oder waren irgendwelchen Infektionen ausgesetzt. Ihr heiseres Mähen war nur noch ein schwaches, unterernährtes Krächzen, wenn der Große Leberegel erst einmal von ihnen Besitz ergriffen hatte, weil sie ihre dürstenden Schnauzen in das faulige Brackwasser der herbstlichen Landschaft getaucht hatten. Die Furcht in den Zelten war groß, dass nicht nur Kämpfe ausbrechen würden, sondern auch die schreckliche
turvag takal,
die Beulenpest. Sie rührte angeblich vom Verzehr schlechten Präriehundfleischs her und konnte zu jenen Zeiten selbst den stärksten Mann oder die stärkste Frau erledigen.
Als im Streit um eine Frau ein Angehöriger eines anderen Stammes von einem von Attilas Männern getötet wurde, konnte der blutige Bandenkrieg nur mit Hilfe von großzügigen Geschenken abgewendet werden, durch Pferde, kostbare Teppiche und Gold. Allmählich begannen die verschiedenen Stämme, die mit so hohen Erwartungen gekommen waren, um Sawaschs Schwert zu huldigen, sich in alle Winde zu zerstreuen, nach Osten und nach Süden.
«Denkt daran, nach zwölf Monaten wieder zurückzukehren, wie euer Herrscher, Attila Tanjou, es euch befohlen hat!», rief Kleiner Vogel den davonziehenden Planwagen hinterher. «Auch Kleiner Vogel wartet voller Demut auf seinen Herrn und Meister!»
Kleiner Vogel flüchtete sich vor den untröstlichen Stammesmitgliedern zu den Kindern, mit denen ihn eine große Zuneigung verband. Sie saßen im Kreis um ihn herum, zierliche Kinder mit dem perfekten Rund der typischen Hunnengesichter, rosigen Wangen und großen Augen, während er sich Geschichten für sie ausdachte. Von Bergen, die einander bekämpften, indem sie sich mit glühenden Lavasteinen und Felsbrocken bespuckten, von
Weitere Kostenlose Bücher