Der schwarze Krieger
Kampfgebiets, sie versuchten, sich in die Mitte des Kreiseszurückzuziehen. Doch ihre Angreifer setzten ihnen immer wieder zu. Bald konnten sie sich nicht mehr bewegen, geschweige denn neu positionieren. Alles, was sie tun konnten, war, am Leben zu bleiben.
Attila stieß einen Warnschrei aus, und Orestes drehte sich um. Beinahe über sich sah er einen Kutriguren, der seinen mit Bändern verzierten Speer gezückt hatte. Es war ein hochgewachsener, magerer Bursche, der seine langen Haare hochgebunden und mit weißem Lehm beschmiert hatte. Sein Gesicht war mit frischem Blut bespritzt. Orestes hielt sein Langschwert waagerecht und tat, als wolle er damit den Bauch des Kriegers aufschlitzen. Der Krieger kam dicht heran, senkte den Speer und hielt ihn mit beiden Händen in einer kunstlosen Verteidigungshaltung senkrecht. Auf diese Weise würde er den Hieb des Angreifers abwehren können, dann den Speer rasch drehen und ihn, selbst wenn er entzweigebrochen war, in den Leib des Gegenübers stoßen. Doch Orestes hatte seinen Gegner nun genau dort, wo er ihn haben wollte. In der für ihn üblichen schweigsamen Art vollführte er eine seiner Lieblingsbewegungen, als würde er sich mit einem Freund bei einer Übung messen.
In dem Augenblick, in dem der Krieger seinen Speer senkte, um sich zu verteidigen, änderte Orestes die Bahn seines Schwerthiebs und ließ das Schwert in einer fließenden Bewegung über den Kopf des Kriegers gleiten, wechselte dann das Schwert in die andere Hand, wobei dieses durch die Luft flog, und schlitzte dem Gegner mit der Linken mit elementarer Wucht von hinten die Beine auf, durchtrennte ihm die Kniesehnen, die Muskeln, schnitt ihm das Fleisch fast bis auf den Knochen auf.
Er zog sein Schwert heraus, richtete sich wieder auf und hielt es erneut mit der rechten Hand. Die Beine des überraschtenKriegers knickten ein, als wäre bei diesem tödlichen Streich der Muskel zur Gänze herausgerissen worden. Er sank in einer riesigen Lache seines eigenen Bluts in die Knie und verstand noch immer nicht, was schiefgelaufen war. Er würde es nie erfahren. Die Götter hatten an jenem Tag ja gesagt und dem Tod seine Bitte erfüllt. Denn der Tod stellt jeden Tag seine Forderungen, er will jeden Mann, an jedem einzelnen Tag. Der letzte Tag bricht an, wenn die Götter dem Tod zunicken, bei jedem Menschen.
Orestes stieß sein Schwert in den Oberkörper des Mannes und zog es wieder heraus. Er schob seinen Fuß unter dessen Rückenpartie und stieß den leblosen Körper in die brennende Dornenhecke.
Das Ganze hatte eher einer Hinrichtung geglichen als einem ausgeglichenen Kampf.
Dennoch waren sie dabei zu verlieren. Egal, wie wild sie kämpften und mit welch mörderischer Anstrengung, es stand fest, dass sie verlieren würden. Ein Dutzend von ihnen lag bereits tot am Boden, etwa zwei- bis dreimal so viele hatten blutende Wunden. Die Erschöpfung war kurz davor, sie zu überwältigen, egal wie tapfer sie weiterkämpften. Die Zahl ihrer Feinde nahm kein Ende: Kaum hatten sie einen aufheulenden Krieger geschlagen, nahmen zwei neue seinen Platz ein. Und der Tag schleppte sich dahin.
Attila ritt noch immer zwischen seinen Männern auf und ab, erteilte Befehle, duckte sich, wenn ein Speer vorbeiflog, hieb einen Mann beinahe ungeduldig entzwei, als dieser fauchend auf ihn zukam. Wie ein König versuchte er, seine Männer auf die andere Seite zu treiben und sie zu immer neuen Taten anzuspornen. Vergeblich. Sie würden verlieren.
Endlich ging die Sonne über diesem kurzen kalten Wintertag unter. Noch immer kämpften sie, die Krieger wurdenzu unwirklichen, von Flammen eingefassten Silhouetten vor dem Sonnenuntergang, Puppen der Götter in einem tödlichen Schattenspiel. Das blutige Schlachtfeld war von albtraumhafter Schönheit: der Himmel feuriges Orange, Krieger, die stöhnten und sich krümmten, in die Arme ihrer Kameraden sanken und starben, andere Krieger, die einen Kampfschrei ausstießen und sich ins Gemetzel stürzten, um sich weitere Leben zu nehmen, bevor sie selbst ausgelöscht wurden.
Hoch oben vor dem flammenden Himmel zog eine Schar Wildgänse vorüber, schwarze Schatten vor der untergehenden Sonne auch sie, und einige Krieger hielten mitten im Gemetzel inne und sahen zu ihnen hinauf. Sie konnten an nichts denken, fanden keine Worte, um auszudrücken, was sie fühlten, als sie den stummen Flügelschlag hoch und ruhig über ihren Köpfen in Richtung Westen dahinziehen sahen, mitten in die sterbende Sonne
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