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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Monatslohn für einen Tag Beobachtung. Gelobt sei der Hohe Rat, daß er nicht verlangt hat, Mr. Evans zu töten. Aber auch dagegen hätte sich Sha Zhenxing nicht gewehrt. Für einen einfachen Mord mit einer dünnen Stahlschlinge oder einem beidseitig geschliffenen Messer bekam man – gesegnet sei der Hohe Rat – eintausend Yuan. Das war der Tarif. Wie lange konnte man davon leben? Auf dem Nachtmarkt hinter dem Hotel ›Di Guo Fan Dian‹, den Reisenden als das Luxushotel ›Kings World Hotel‹ bekannt, kostete ein gutes Abendessen mit Hühnerflügelchen und Reis nur zwei Yuan. Mit tausend Yuan konnte man sich also fünfhundert Abende satt essen. Geliebte Brüder, das Leben war schön, wenn man den Mächtigen dienen durfte.
    *
    Yu Haifeng wandte sich an den Mann, der neben ihm in einem niedrigen Sessel saß und ihn fragend ansah. Er trank grünschimmernden Tee. Neben der Teeschale stand ein kleines Glas mit Pflaumenwein. Yu straffte sich im Sitzen, seine Stimme wurde so ehrfurchtsvoll wie vorher Shas am Telefon.
    »Mister Evans hat Sun Li abgelehnt«, sagte er, »eines unserer schönsten Mädchen. Ein Mann mit Charakter. Es wird schwer werden, ihn für unser Geschäft zu gewinnen.«
    »Er wird einen Freundschaftsdienst nicht verweigern, eben weil er Charakter besitzt.« Cheng Zhaoming nahm einen Schluck des würzigen Pflaumenweins, setzte darauf die hauchdünne, bemalte Teeschale an den Mund und kostete den Tee genüßlich, ehe er ihn hinunterschluckte. »Ich werde selbst mit ihm sprechen, in einer Stunde schon. Vertrauen wir auf Shen Jiafu, er hat sich noch nie geirrt. Und die Berichte aus Beijing klingen hoffnungsvoll.«
    Yu Haifeng nickte zustimmend. Allein die Nennung des Namens Shen Jiafu flößte ihm unbedingten Gehorsam ein und ließ ihn auf jede Kritik und jeden Widerspruch verzichten. Was Shen sagte, war wie ein Gesetz. Wer die Ehre hatte, in seiner Umgebung zu leben, gab seinen eigenen Willen ab, als hänge man einen Mantel an einen Haken. Und jeder, der das durfte, zählte sich zu den Glücklichen, den Auserwählten und Erhobenen. Shen Jiafu zu dienen war eine unvergleichlich höhere Aufgabe, als etwa Sekretär des erhabenen Großen Vorsitzenden Mao Tse-tung zu sein. Mao regierte China, aber Männer wie Shen scheffelten das Geld, ohne daß es jemand merkte. Und wer auch nur ein Wort darüber verlor, etwa beim Zusammensein mit einer nackten, glatthäutigen Frau, wo Männer so viel Unbedachtes sprechen, den fand man kurze Zeit danach erstochen, erwürgt oder mit abgetrenntem Kopf in einem verfallenen Schuppen in der Altstadt.
    Cheng Zhaoming trank seinen Tee und den Pflaumenwein aus, blickte auf seine goldene Armbanduhr, ein Mitbringsel aus Hongkong, und erhob sich aus dem Sessel. Sofort sprang Yu Haifeng auf und machte eine leichte Verbeugung.
    »Darf ich Ihnen Glück wünschen, Herr Cheng«, sagte er untertänig.
    »Wünschen Sie Mr. Evans Glück.«
    »Er wird auf Ihren Vorschlag eingehen.«
    »Wenn er ein kluger Mann ist …«
    »Nehmen wir es an.« Cheng verließ das Haus; es war im traditionellen Stil gebaut, mit einem Innenhof, den eine hohe Mauer von der Straße trennte. Ein massives, breites Holztor führte nach draußen. An der Außenmauer hingen rote und gelbe handgemalte Plakate oder Spruchbänder, die dem Besitzer des Hauses langes Leben, Glück und Schutz vor bösen Geistern wünschten. Auch das war Tradition. Ein Haus ohne Wunschsprüche war ein verfluchtes Haus.
    Im Innenhof wartete ein schwarzes Auto auf Herrn Cheng. Ein bekanntes deutsches Fabrikat mit einem für den normalen Chinesen astronomischen Preis. Solche Wagen fuhren sonst nur die höheren Parteifunktionäre, und die Partei bezahlte auch einen Chauffeur.
    Natürlich wurde der große schwarze Wagen von Cheng Zhaoming ebenfalls von einem Chauffeur gefahren. Es war ein junger Mann in hellbrauner Hose und weißem Hemd, der eine rote Baseballmütze trug, obwohl er nie einen Baseballschläger in der Hand gehabt hatte. Aber es gehörte jetzt zum Stil der jungen Generation in China, so westlich wie möglich zu wirken, von den Jeans über Joggingschuhe bis eben zur Baseballkappe.
    Der Chauffeur, den Cheng nur mit dem Vornamen Shijie anredete, sprang sofort auf und stürzte auf den Wagen zu, riß die hintere Tür auf und verbeugte sich. Er hatte bisher im Schatten unter dem abgestützten Vordach des Waschhauses gesessen, Nüsse gekaut und in einem farbigen Magazin aus Hongkong gelesen, das wunderschöne nackte Mädchen in sehr intimen

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