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Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe

Titel: Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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klagen.«
    »Du hast recht,« stimmte der Häuptling bei. »Er wohnt auch in meinem Leibe und zerfrißt mir die Eingeweide. Du sagtest, daß du dich vor keinem Feinde fürchtest; auch ich habe bis vor kurzem jeden Gegner besiegt, da aber kam ein Feind, der mich überwand, und darum müssen wir Hunger leiden.«
    »Wer ist es?«
    »Er wohnt, wie der Hunger, auch in meinem Innern; es ist der Zorn, den ich gegen Old Shatterhand hegte und nicht besiegen konnte.«
    »Uff, uff!« stimmte der andre bei. Er fügte kein Wort hinzu, aber in dem Tone, in welchem er diesen Ausruf zweimal hören ließ, lag alles, was er sagen wollte.
    »Ja, dieser Zorn war der Feind, der mich überwand,« fuhr der Häuptling fort. Bei dem ungeheuern Stolze, den er sonst besaß, war es nur dem Hunger möglich, ihn zu dieser Selbstanklage zu bringen. »Hätte ich Old Shatterhand nicht verhöhnt, hätte ich geschwiegen und still die spätere Rache erwartet, so hätte uns dieses Bleichgesicht die Pferde und die Waffen und auch die Medizinen gelassen; wir hätten heimlich in der Nähe von Firwood-Camp bleiben, auf die Feinde warten können; sie befänden sich jetzt schon in unsern Händen!«
    »Da hast du die Wahrheit gesagt. So aber sitzen wir hier und hungern. Wir sind aus dem Lager gegangen, um Fleisch zu holen, haben aber nichts geschossen oder gefangen und nur einen Kürbis gefunden, den wir gegessen haben. Wenn die andern im Schlingenlegen auch so unglücklich gewesen sind wie wir, so wird uns der Hunger bald verzehren. Wie viel Pulver hast du noch?«
    »Für höchstens zehn Schüsse.«
    »So mag Ik Senanda ja heut kommen, sonst sterben wir an dem Feinde, der in unserm Innern wohnt, denn es ist – uff!«
    Er unterbrach sich selbst und ließ diesen Ausruf nicht laut, sondern mit unterdrückter Stimme hören.
    »Was ist’s?« fragte Tokvi-Kava.
    »Schau dorthin!« antwortete sein Gefährte mit dem Ausdrucke der Freude im Gesichte und indem er bachaufwärts deutete.
    Der Häuptling wendete den Blick nach der angedeuteten Richtung und machte sofort auch ein andres, froheres Gesicht.
    »Büffel!« flüsterte er.
    »Ja, sechs Stück! Eine Bulle, drei Kühe und zwei Kälber!«
    »Wir bekommen Fleisch!«
    Bei diesen Worten griff er nach dem Gewehre; aber seine Hand zitterte, entweder vor Kraftlosigkeit oder vor Aufregung.
    »Du zitterst!« warnte ihn der andre. »Wenn dein Schuß nicht sicher ist, geht uns das Fleisch verloren!«
    »Schweig! Es war der Hunger; aber ich werde sicher treffen!«
    »Die Büffel gehen dem Wasser nach; sie werden hierherkommen, denn sie bringen den Wind.«
    »Ja, die Luft kommt mit ihnen, und wir brauchen also nur hier hinter dem Busche liegen zu bleiben.«
    Sie duckten sich nieder und beobachteten mit fast fieberhafter Erregung die Tiere, welche in gar nicht langsamem Tempo näher kamen, denn sie schienen sich auf der Wanderung zu befinden und bogen die Köpfe nur zuweilen nieder, um ein Maul voll Gras zu nehmen.
    Der Bulle war ein altes, mächtiges und sehr häßliches, weil fast haarloses Tier. Sein hartes, zähes Fleisch konnte kaum genossen werden, und doch mußte grade er geschossen werden, denn hätte Tokvi-Kava nach der Güte des Fleisches sich richten und eine Kuh schießen wollen, so wäre er und sein Gefährte von dem rachsüchtigen und wütenden Büffel auf die Hörner genommen und zerstoßen und zertreten worden. Das Gewehr hatte allerdings zwei Läufe, aber es war ein Schrotlauf dabei.
    Die Tiere kamen nahe am Wasser herunter, der Bulle voran, die Kühe mit den Kälbern hinterher. Sie waren noch hundert, dann fünfzig, endlich nur noch dreißig Schritte entfernt, ohne etwas zu merken. Die Kühe verließen sich auf ihren Führer, und dieser schien die Empfindlichkeit der Nase verloren zu haben.
    Tokvi-Kava legte an; er zitterte jetzt nicht mehr, schoß aber noch nicht, denn er hatte den Büffel grade von vorn und wollte lieber eine Wendung desselben abwarten. Der Indianer und jeder erfahrene Jäger nämlich gibt dem Büffel die Kugel am liebsten von der Seite her unterhalb der Schulter in das Herz, weil ihr Weg da nur durch Fleischteile geht.
    Sie kamen gar noch zehn Schritte näher; da aber schien die eine Kuh Verdacht zu fassen; sie blieb stehen und sog die Luft so laut ein, daß der Bulle es hörte. Er drehte sich halb nach ihr um und bot dem Häuptling also die Seite und die beschriebene Stelle, auf welche es dieser abgesehen hatte. Der Schuß krachte sofort. Der Büffel bekam einen sichtbaren Ruck durch den

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