Der schwarze Mustang. Erzählungen, Aufsätze und offene Briefe
schlafen?«
»Ja. Sie ruhen aus, weil sie die ganze Nacht hindurch geritten sind.«
»Das ist freilich wahr. Und der Häuptling muß ganz besonders ermüdet sein, weil er schon gestern abend nach dem Firwood-Camp und zurück auf dem Weg gewesen ist.«
»
Well.
Mein Bruder mag sehen, wie nahe wir ihm sind, so nahe, daß wir ihn fast greifen können!«
Er bog die Schößlinge ein wenig auseinander und ließ Old Shatterhand durch die so entstandene Lücke blicken. Wie erstaunte dieser, als er Tokvi-Kava nicht weiter als fünf Schritte vor sich liegen sah! Die beiden Lauscher befanden sich am Rande des Windbruches und damit zugleich am Rande einer kleinen Einbuchtung der Prairie. Ein starker, abgestorbener Baumstamm ragte, am Boden liegend, zu ihrer Linken aus dem Wirrwarr des Hurrikans hinaus, und das unter ihm hervor-und neben ihm emporschießende Gras bildete ein weiches Lager, auf welchem sich der Häuptling lang ausgestreckt hatte; er schlief. Weiter hin sah man seine Krieger liegen, welche auch schliefen; sie waren ermüdet und fühlten sich sicher unter dem Schutz der Wachen, welche sie nach der Prairie hin ausgestellt hatten. Der Häuptling hatte nach der Gewohnheit aller Weißen und Roten im wilden Westen sein Gewehr griffbereit neben sich liegen. Am Baumstamme lehnte ein langer, schmaler Pack, dessen Hülle in der Decke Tokvi-Kavas bestand, welche sorgfältig mit seinem Lasso umschlungen war. Old Shatterhands Augen blitzten, als er dieses Paket erblickte, und Winnetou fragte leise, indem er nach demselben winkte:
»Weiß mein Bruder, was in der Decke dort steckt?«
»Unsre Gewehre natürlich!«
»Er schläft, und alle andern schlafen; wir können sie uns holen.«
»Fällt uns nicht ein!«
»Hugh! Mein Bruder trifft doch stets das Richtige! Wir dürfen sie nicht holen, sondern müssen sie jetzt noch liegen lassen.«
»Leider! Die Komantschen dürfen nicht ahnen, daß ihr Aufenthalt entdeckt worden ist; das Verschwinden der Gewehre würde ihnen aber verraten, daß diese Entdeckung auch stattgefunden hat.«
»Es ist nur für kurze Zeit, dann werden wir hoffentlich die Gewehre wieder erlangt haben.«
»Sicher und gewiß! Dennoch wird es mir nicht leicht, mich in die Notwendigkeit zu fügen. Diese Waffen sind nicht nur kostbar, sondern geradezu unersetzlich für uns, und es widerstrebt mir gewaltig, sie auch nur für Stunden in den Händen dieses Menschen zu lassen. Wie leicht ist etwas mit ihnen geschehen, was nicht wieder hergestellt werden kann! Es wird mir wirklich schwer, sehr schwer, aber wir müssen dem Gebot der Klugheit folgen. Horch! War das nicht ein Ruf?«
»Die Stimme eines Wächters,« nickte Winnetou. »Der Scout wird bei den Posten draußen angekommen sein.«
Der Ruf, den Old Shatterhand und Winnetou gehört hatten, wurde von mehreren Stimmen wiederholt. Die Schläfer erwachten und sprangen in die Höhe; auch der Häuptling richtete sich auf. Es war so, wie Winnetou gesagt hatte; der Halbindianer kam geritten. Als er den Häuptling sitzen sah, lenkte er sein Pferd zu ihm hin und stieg bei ihm ab. Tokvi-Kava sagte im Tone der Verwunderung:
»Du bist es, der Sohn meiner Tochter! Habe ich dir erlaubt, uns nachzueilen?«
Als nicht gleich eine Antwort erfolgte, weil sich sein Enkel zunächst zu ihm niedersetzen wollte, fuhr er fort:
»Habe ich dir nicht befohlen, die Bleichgesichter zu beobachten und bei ihnen auszuharren, bis wir kommen oder ich dir einen Boten sende?«
»Das hast du,« antwortete der Gefragte gelassen.
»Und doch bist du von deinem Posten gewichen!«
»Weil ich mußte. Der Vater meiner roten Mutter wird einsehen, daß ich nicht anders konnte.«
»Wenn ich es nicht einsähe, würde es nicht zu deinem Vorteile sein! Es müssen sich wichtige Dinge ereignet haben, daß du es wagst, vom Firwood-Camp hierher zu kommen!«
»Wichtig sind sie allerdings.«
»Und sehr schnell nach unsrer Entfernung müssen sie geschehen sein, denn du bist kurz nach uns auch aufgebrochen. Sprich! Ich werde hören, was du zu deiner Entschuldigung sagst.«
»Du bist der Vater meiner Mutter und kennst mich seit dem Augenblicke meiner Geburt. Habe ich dir jemals Grund zum strengen Tadeln gegeben? Warum empfängst du mich mit Vorwürfen, ohne vorher zu wissen, warum ich komme?«
»Weil es sich um den wichtigsten Fang, den wir jemals machen können, handelt und um die größten Feinde unsres Stammes, nämlich um den Häuptling der Apatschen, und um das verhaßte Bleichgesicht, das sich Old
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