Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
weicher und melodischer, starrt uns noch einmal mit den erbarmungslosen Augen eines etatsmäßigen Feldwebels im Ruhestand an, dreht sich um, fällt beinahe, fängt sich und wandert dann zielbewußt zum Hof hinaus nach links – in die Richtung der ersten Kneipe, in der Tasche die restlichen Milliarden der Familie.

    Gerda steht vor ihrem Kocher und macht Kohlrouladen. Sie ist nackt, hat ein Paar grüne ausgetretene Pantoffeln an den Füßen und ein rotkariertes Küchenhandtuch über die rechte Schulter geworfen. Es riecht nach Kohl, Fett, Puder und Parfüm, draußen hängen die Blätter des wilden Weins rot vor dem Fenster, und der Herbst starrt mit blauen Augen herein.
      «Schön, daß du noch einmal gekommen bist», sagt sie. «Morgen ziehe ich hier aus.» – «Ja?»
      Sie steht unbefangen und ihres Körpers sicher vor dem Kocher. «Ja», sagt sie. «Interessiert dich das?»
      Sie dreht sich um und sieht mich an. «Es interessiert mich, Gerda», erwidere ich. «Wohin gehst du?»
    «Ins Hotel ,Walhalla‘.»
    «Zu Eduard?»
    «Ja, zu Eduard.»
      Sie schüttelt die Kohlrouladen. «Hast du etwas dagegen?» fragt sie dann.
      Ich sehe sie an. Was kann ich dagegen haben? denke ich. Ich wollte, ich hätte etwas dagegen! Einen Augenblick will ich lügen – aber ich weiß, daß sie mich durchschaut.
      «Bleibst du auch nicht mehr in der Roten Mühle?» frage ich.
      «Ich habe längst Schluß gemacht in der Roten Mühle. Du hast dich nur nicht darum gekümmert. Nein, ich bleibe nicht dabei. Man verhungert in unserem Beruf. Ich bleibe in der Stadt.»
      «Bei Eduard», sage ich.
      «Ja, bei Eduard», wiederholt sie. «Er gibt mir die Bar. Ich werde Bardame.»
      «Und du wohnst dann im ,Walhalla‘?»
      «Ich wohne im ,Walhalla‘, oben unter dem Dachstuhl, und ich arbeite im ,Walhalla‘. Ich bin nicht mehr so jung, wie du glaubst; ich muß sehen, daß ich etwas Festes habe, bevor ich keine Engagements mehr finde. Mit dem Zirkus ist es auch nichts. Das war nur so ein letzter Versuch.»
      «Du kannst noch viele Jahre Engagements finden, Gerda», sage ich.
      «Davon verstehst du nichts. Ich weiß, was ich tue.»
      Ich blicke auf die roten Weinreben, die vor dem Fenster pendeln. Ich habe keinen Grund dazu, aber ich fühle mich wie ein Drückeberger. Meine Beziehung zu Gerda ist nicht mehr gewesen als die eines Soldaten auf Urlaub; aber für einen von zweien ist sie wohl immer etwas mehr als das.
      «Ich wollte es dir selbst sagen», sagt Gerda.
      «Du wolltest mir sagen, daß es mit uns vorbei ist?»
      Sie nickt. «Ich spiele ehrlich. Eduard hat mir als einziger etwas Festes angeboten – eine Stellung –, und ich weiß, was das heißt. Ich will keinen Schwindel.»
      «Weshalb –» Ich breche ab.
      «Weshalb hast du dann jetzt noch mit mir geschlafen, wolltest du fragen», antwortet Gerda. «Weißt du nicht, daß alle wandernden Artisten sentimental sind?» Sie lacht plötzlich. «Abschied von der Jugend. Komm, die Kohlrouladen sind fertig.»
      Sie stellt die Teller auf den Tisch. Ich sehe ihr zu und bin plötzlich traurig. «Nun, was macht deine große himmlische Liebe?» fragt sie.
      «Nichts, Gerda. Nichts.»
      Sie füllt die Teller. «Wenn du mal wieder ein kleines Verhältnis hast», sagt sie, «erzähl dem Mädchen nie etwas von deinen anderen Lieben. Verstehst du?»
      «Ja», erwidere ich. «Es tut mir leid, Gerda.»
      «Um Gottes willen, halt den Schnabel und iß!»
      Ich sehe sie an. Sie ißt ruhig und sachlich, ihr Gesicht ist klar und fest, sie ist von Kindheit an gewöhnt, unabhängig zu leben, sie kennt ihr Dasein und hat sich damit abgefunden. Sie hat all das, was ich nicht habe, und ich wollte, ich liebte sie, und das Leben wäre klar und übersehbar, und man wüßte immer alles darüber, was man braucht, nicht allzuviel, aber das unanfechtbar.
      «Weißt du, ich will nicht viel», sagt Gerda. «Ich bin mit Prügeln aufgewachsen und dann von zu Hause weggelaufen. Jetzt habe ich genug von meinem Beruf und werde seßhaf. Eduard ist nicht der Schlechteste.»
      «Er ist eitel und geizig», erkläre ich und ärgere mich sofort darüber, es gesagt zu haben.
      «Das ist besser als schlampig und verschwenderisch, wenn man jemanden heiraten will.»
      «Ihr wollt heiraten?» frage ich überrascht. «Glaubst du ihm das wirklich? Er wird dich ausnützen und dann irgendeine Hotelierstochter mit Geld heiraten.»
      «Er hat mir nichts

Weitere Kostenlose Bücher