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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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sind neu auf diesem Gebiet. Es waren zwei!»
      Karl rinnt jetzt das Wasser vom Schädel. Die Saufrüder haben die Sprache wiedergefunden. «Es waren zwei», bestätigen sie.
      Es entsteht ein Streit. Ich höre nicht zu. Ich fühle mich, als säße ich auf einem fremden Planeten. Es ist ein kurzes, intensives und entsetzliches Gefühl, und ich bin froh, als ich wieder den Stimmen folgen kann. Der Seehund hat die Situation ausgenutzt; er will den dritten Versuch anerkennen, wenn ein weiterer Betrag gesetzt wird, dreißig zu siebzig für den Seehund. Karl geht schwitzend auf alles ein. Soviel ich sehe, hat er die halbe Werkstatt gesetzt, einschließlich der Schnellbesohlmaschine. «Kommen Sie!» flüstert er mir zu. «Gehen Sie mit mir rauf! Wir müssen sie umstimmen! Sie hat es absichtlich getan.»
      Wir klettern die Treppe hinauf, Frau Beckmann hat Karl erwartet. Sie liegt im Kimono mit dem Phönix auf dem Bett, erregt, wunderbar schön für jemand, der dicke Frauen liebt, und kampfereit. «Klara!» flüstert Karl. «Wozu das? Du hast es mit Absicht getan!»
      «So?» sagt Frau Beckmann.
      «Bestimmt! Ich weiß es! Ich schwöre dir –»
      «Schwöre keinen Meineid! Du Lump hast mit der Kassiererin vom Hotel Hohenzollern geschlafen! Du ekelerregendes Schwein!»
      «Ich? So eine Lüge! Woher weißt du das?»
      «Siehst du, du gibst es zu?»
      «Ich gebe es zu?»
      «Du hast es gerade zugegeben! Du hast gefragt, woher ich es weiß. Wie kann ich es wissen, wenn es nicht wahr ist?»
      Ich sehe den Brustschwimmer Karl Brill mitleidig an. Er fürchtet kein noch so eisiges Wasser, aber hier ist er ohne Zweifel verloren. Auf der Treppe habe ich ihm geraten, sich nicht auf einen Wortwechsel einzulassen, sondern Frau Beckmann einfach auf den Knien anzubeten und sie um Verzeihung zu bitten, ohne natürlich das Geringste zuzugeben. Statt dessen wirf er ihr jetzt einen gewissen Herrn Kletzel vor. Die Antwort ist ein furchtbarer Schlag auf die Nase. Karl prallt zurück, faßt an seinen Zinken, um zu prüfen, ob Blut kommt, und duckt sich mit einem Wutschrei, um als alter Kämpfer Frau Beckmann an den Haaren aus dem Bett zu reißen, ihr einen Fuß auf den Nacken zu stellen und ihre gewaltigen Schinken mit seinem schweren Hosengürtel zu bearbeiten. Ich gebe ihm einen mittelstarken Tritt in den Hintern. Er dreht sich um, bereit, auch mich anzufallen, sieht meine beschwörenden Augen, meine aufgehobenen Hände und meinen lautlos flüsternden Mund und erwacht aus seinem Blutrausch. Menschliches Verstehen glänzt wieder in seinen braunen Augen auf. Er nickt kurz, während ihm nunmehr das Blut aus der Nase sprudelt, dreht sich wieder um und sinkt mit dem Ruf:
      «Klara! Ich habe nichts getan, aber verzeih mir!» an Frau Beckmanns Bett nieder.
      «Du Ferkel!» schreit sie. «Du Doppelferkel! Mein Kimono!»
      Sie zerrt das kostbare Stück beiseite. Karl blutet ins Bettlaken. «Verfluchter Lügner!» erklärt sie. «Auch noch das!»
      Ich merke, daß Karl, ein ehrlicher, einfacher Mann, der eine sofortige Belohnung für seinen Kniefall erwartet hat, wieder wütend hoch will. Wenn er mit der blutenden Nase einen Ringkampf beginnt, ist alles verloren. Frau Beckmann wird ihm vielleicht die Kassiererin aus dem «Hohenzollern», aber nie den verdorbenen Kimono verzeihen. Ich trete ihm von hinten auf den Fuß, halte mit einer Hand seine Schulter herunter und sage: «Frau Beckmann, er ist unschuldig! Er hat sich für mich geopfert.»
      «Was?»
      «Für mich», wiederhole ich. «Unter Kameraden aus dem Kriege kommt so was vor –»
      «Was? Ihr mit eurer verfluchten Kriegskameradschaf, ihr Lügenhälse und Gauner – und so was soll ich glauben!»
      «Geopfert!» sage ich. «Er hat mich mit der Kassiererin bekanntgemacht, das war alles.»
      Frau Beckmann richtet sich mit flammenden Augen auf.
      «Was? Sie wollen mir doch nicht einreden, daß ein junger
    Mann wie Sie auf so ein altes, abgetakeltes Stück fliegt wie diesen Kadaver im .Hohenzollern‘!»
      «Nicht fliegen, gnädige Frau», sage ich. «Aber in der Not frißt der Teufel Fliegen. Wenn einen die Einsamkeit an der Gurgel hat –»
      «Ein junger Mann wie Sie kann doch andere kriegen!»
      «Jung, aber arm», erwidere ich. «Frauen wollen heutzutage in Bars geführt werden, und wenn wir schon davon reden, dann werden Sie mir doch zugeben, daß, wenn Sie schon mir, einem alleinstehenden Junggesellen im Sturm der

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