Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
Inflation, die Kassiererin nicht glauben, es doch völlig absurd wäre, so etwas von Karl Brill anzunehmen, der sich der Gunst der schönsten und interessantesten Frau von ganz Werdenbrück erfreut, unverdientermaßen, zugegeben –»
Das Letzte saß. «Er ist ein Lump!» sagt Frau Beckmann. «Und unverdient ist wahr.»
Karl regt sich. «Klara, du bist doch mein Leben!» heult er dumpf aus den blutigen Bettlaken.
«Ich bin dein Bankkonto, du kalter Stein!» Frau Beckmann wendet sich mir zu. «Und wie war es mit der halbtoten Ziege vom ,Hohenzollern‘?»
Ich winke ab. «Es ist zu nichts gekommen! Ich habe mich geekelt.»
«Das hätte ich Ihnen im voraus sagen können!» erklärte sie tief befriedigt.
Der Kampf ist entschieden. Wir sind beim Rückzugsgeplänkel. Karl verspricht Klara einen seegrünen Kimono mit Lotosblumen und Bettschuhe mit Schwanenflaum. Dann geht er, kaltes Wasser in die Nase hochzuziehen, und Frau Beckmann erhebt sich. «Wie hoch ist die Wette?» fragt sie.
«Hoch», erwidere ich. «Billionen.»
«Karl!» ruf sie. «Beteilige Herrn Bodmer mit 250 Milliarden.»
«Selbstverständlich, Klara!»
Wir schreiten die Treppe hinunter. Unten sitzt der Seehund, bewacht von den Freunden Karls. Wir erfahren, daß er versucht hat zu schwindeln, während wir fort waren, aber Karls Saufrüder haben ihm den Hammer rechtzeitig entrissen. Frau Beckmann lächelt verächtlich, und dreißig Sekunden später liegt der Nagel auf dem Fußboden. Majestätisch entwandelt sie, von den Klängen des «Alpenglühens» geleitet.
«Ein Kamerad ist ein Kamerad», sagt Karl Brill später gerührt zu mir.
«Ehrensache! Aber wie war das mit der Kassiererin?»
«Was soll man machen?» erwidert Karl. «Sie wissen, wie einem manchmal abends zumute ist! Aber daß das Luder auch reden muß! Ich werde den Leuten meine Kundschaf entziehen. Sie aber, lieber Freund – wählen Sie, was Sie wollen!» Er zeigt auf die Lederstücke. «Ein Paar Maßschuhe erster Qualität als Geschenk – was Sie wollen: Boxcalf schwarz, braun, gelb, Lack, Wildleder – ich werde sie selbst anfertigen –»
«Lack», sage ich.
Ich komme nach Hause und sehe im Hof eine dunkle Gestalt. Es ist tatsächlich der alte Knopf, der gerade vor mir eingetroffen ist und sich, als wäre er nicht schon toterklärt, bereit macht, den Obelisken zu schänden. «Herr Feldwebel», sage ich und nehme ihn am Arm. «Sie haben für Ihre kindischen Äußerungen jetzt Ihren eigenen Grabstein. Benützen Sie den!»
Ich führe ihn zu dem Hügelstein, den er gekauf hat, und warte vor der Haustür, damit er nicht noch den Obelisken benutzt.
Knopf starrt mich an. «Meinen eigenen Stein? Sind Sie verrückt. Was ist er jetzt wert?»
«Nach dem Dollarkurs von heute abend neun Milliarden?»
«Und daran soll ich pissen?»
Knopfs Augen irren ein paar Sekunden umher – dann wankt er knurrend ins Haus. Was niemand zuwege gebracht hat, hat der schlichte Begriff des Eigentums erreicht! Der Feldwebel benützt seine eigene Toilette. Da komme noch einer mit Kommunismus! Eigentum gibt Sinn für Ordnung!
Ich stehe noch eine Weile da und denke darüber nach, daß die Natur von der Amöbe her Millionen von Jahren gebraucht hat, um über Fisch, Frosch, Wirbeltier und Affen den alten Knopf hervorzubringen, ein Geschöpf, vollgestopf mit physikalischen und chemischen Wunderwerken, einem Blutkreislauf von höchster Genialität, einer Herzmaschine, die man nur anbeten kann, einer Leber und zwei Nieren, gegen die die IG Farbenfabriken lächerliche Pfuscherwerkstätten sind – und das alles, dieses über Millionen von Jahren sorgfältig vervollkommnete Wunderwerk, etatsmäßiger Feldwebel Knopf genannt, nur dazu, um für eine kurze Zeit auf Erden armselige Bauernjungens zu schinden und sich dann mit einer mäßigen Staatspension dem Trunke zu ergeben! Gott macht sich wirklich manchmal viel Mühe um nichts!
Kopfschüttelnd drehe ich das Licht in meinem Zimmer an und starre in den Spiegel. Da ist ein anderes Wunderwerk der Natur, das auch nicht viel mit sich anzufangen weiß. Ich drehe das Licht ab und ziehe mich im Dunkeln aus.
XXIII
In der Allee kommt mir eine junge Dame entgegen. Es ist Sonntag morgen, und ich habe sie bereits in der Kirche gesehen. Sie trägt ein hellgraues, gut sitzendes Jackenkleid, einen kleinen Filzhut, graue Wildlederschuhe, heißt Geneviève Terhoven und ist mir sonderbar
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