Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
machen. Danach kehrt Remarque mit seinem folgenden Roman Der Himmel kennt keine Günstlinge (zunächst als Geborgtes Leben 959 als Fortsetzungsroman) zu seinen Anfängen als Schrifsteller zurück. Mit dieser Rennfahrer- und Liebesgeschichte knüpf Remarque unmittelbar an seinen 927/28 veröffentlichten Fortsetzungsroman Station am Horizont an.
Vielleicht erklärt dies die zugleich heitere und schwermütige Rückkehr zur Lebensphilosophie seiner frühen Schaffensperiode vor Im Westen nichts Neues. Dies ist verbunden mit einer scharfen Absage an die Rationalität und Vernunf. Gleich zu Beginn von Der schwarze Obelisk heißt es:
Der Mensch lebt zu 75 Prozent von seiner Phantasie und nur
zu 25 Prozent von Tatsachen – Das ist seine Stärke und seine
Schwäche … 42
Zum Schluß sagt Bodmer resignativ, er habe einmal gelesen,
daß Walroßherden so unbeteiligt bleiben, während Jäger un
ter ihnen mit Keulen die Nachbarn erschlagen – und gesehen
habe (er), daß ganze Völker im Krieg dasselbe tun. 43
Daher der Rückzug Bodmer in die »Irrenanstalt«, in der Isabelle die ›wahre Vernunf‹ repräsentiert. Alfred Antkowiak bemerkt hierzu:
Isabelle verkörpert von ihrem Wesen her den Mythos der
Lebensphilosophie, die schlichte, tiefe mitreißende Gewalt
des Lebens, von der auch der Held des Schwarzen Obelisken
gepackt wird. Am Beginn des Romans fragt Bodmer noch:
»Wozu lebe ich?« Am Ende weiß er es: »Um zu leben.« Er
hat erfahren, was das Leben ist, und er spürt es durch Isabelle
…
Er erfaßt dieses Eigentliches das Leben, intuitiv, im Zusam
mensein mit Isabelle. Auch das ist typisch lebensphiloso
phisch: Die Erkenntnis wird durch die Intuition ersetzt. 44
Isabelle hat den wahren Zugang zum Sein. Dies ist der Traum von Ludwig Bodmer und die wahre Geschichte der »verspäteten Jugend«. Remarque allerdings weiß, daß dies eine «verspätete» Reaktion auf die Geschichte ist. Er lebt in der Jetztzeit, und er will als politischer Schrifsteller‹ etwas bewirken. Daher verknüpf er die Rückennnerung an die Jugendzeit zugleich mit einer Absage, die auf raffinierte Weise die Wirklichkeit der fünfziger Jahre immer wieder durchbrechen läßt. Der durch die zahlreichen zu überbringenden Todesbotschafen irregewordene Briefräger Roth verkündet, »die Totgeglaubten seien noch am Leben … Bald kämen sie heim«. 45
Aber wenn er dann sagt: »Sie kommen jetzt bald heim aus Rußland, unsere Soldaten«, so weist Remarque auf die Realität der Jahre 955-56 hin: Adenauers Moskaureise und die Entlassung der letzten Gefangenen aus russischer Kriegsgefangenschaf im Jahre 956. In dieser Verflechtung und Integration der unterschiedlichsten Motive ist Der schwarze Obelisk, alles in allem, eines der besten Bücher Remarques, ein »Meisterwerk der Zeitgeschichte«, das die »dumpfe Enge deutscher Metaphysik und Teutonenhafigkeit« mit der Hoffung auf eine andere Lebensform verknüpf. 46
Remarque beendet sein Buch mit einem Hinweis »auf die Irrenanstalt und die Gebäranstalt«, die beide im Krieg unzerstört geblieben sind (es ist die Gebäranstalt, in der Remarque selber geboren wurde):
Sie waren sofort wieder voll belegt und sind es noch. Sie
mußten sogar noch beträchtlich erweitert werden.
Dies ist der letzte Satz des Romans, den ich mit einem Ausspruch Valentins, des Lebensretters von Eduard Knobloch und jetzigem ständigen Gast für Essen und Trinken im »Walhalla«, kontrastieren möchte: Führt man auch mehr Kriege, weil mehr Menschen geboren werden? 47
ANMERKUNGEN
1 Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend.
Roman, S. 102
2 Für die Einsicht in den Schrifwechsel ist dem Verlag Kie
penheuer& Witsch zu danken.
3 Remarque pflegte zunächst eine erste handschrifliche
Fassung seiner Romane zu erstellen, die dann, in ein Ty
poskript umgesetzt, solange korrigiert wurde, bis er die für
den Druck vorgesehene Fassung beim Verlag ablieferte. In
der Zeit der Publikationen seiner neuen Romane bei Kie
penheuer & Witsch (1952-1962) erfolgte dies immer nur
in Kapitelpartien, so daß der Satz bei den knappen Fristen
bis zur vorgesehenen Publikation schon beginnen konnte.
Der schwarze Obelisk erschien im Oktober 1956. (Näheres
über Remarques Arbeitsweise siehe: Tomas Schneider:
»Der unbekannte Remarque. Der
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