Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend
damals fast so gesucht wie Brot.
Der alte Knopf starb drei Monate, nachdem ich Werdenbrück verlassen hatte. Er wurde von einem Auto nachts überfahren. Seine Frau heiratete ein Jahr später den Sargtischler Wilke. Niemand hätte das erwartet. Es wurde eine glückliche Ehe.
Die Stadt Werdenbrück wurde während des Krieges durch Bomben so zertrümmert, daß fast kein Haus unbeschädigt blieb. Sie war ein Eisenbahn-Knotenpunkt; deshalb wurde sie so of angegriffen. Ich war ein Jahr später einmal einige Stunden auf der Durchreise da. Ich suchte nach den alten Straßen, aber ich verirrte mich in der Stadt, in der ich so lange gelebt hatte. Nichts war mehr da als Trümmer, und ich fand auch niemand von früher wieder. In einem kleinen Laden, der sich nahe dem Bahnhof in einer Bretterbude befand, kaufe ich ein paar Postkarten mit Ansichten der Stadt aus der Zeit vor dem Kriege. Das war alles, was übriggeblieben war. Wenn jemand früher sich seiner Jugend erinnern wollte, ging er an den Ort zurück, wo er sie verbracht hatte. Heute kann man das in Deutschland kaum noch. Alles ist zerstört und neu aufgebaut worden und fremd. Postkarten müssen es ersetzen.
Die einzigen beiden Gebäude, die völlig unbeschädigt sind, sind die Irrenanstalt und die Gebäranstalt – hauptsächlich deshalb, weil sie etwas außerhalb der Stadt liegen. Sie waren sofort wieder voll belegt und sind es noch. Sie mußten sogar beträchtlich erweitert werden.
»Unser Golgatha« Nachwort von Tilman Westphalen
I
Remarque, von seinem Verleger Joseph Caspar Witsch gefragt, worum es in seinem neuen Buch gehe, antwortet in einem Brief vom . Juli 956 aus Porto Ronco:
Den Inhalt des Buches kann ich Ihnen nicht beschreiben. Könnte ich es, brauchte ich nicht ca. 380 Seiten dazu. 2
Mit diesem Antwortbrief sendet Remarque einen weiteren Manuskriptteil von Der schwarze Obelisk, der mit Kapitel XI endet. Den Umfang und die voraussichtliche Zahl der Kapitel kannte Remarque aus seiner Rohfassung. Der schwarze Obelisk als Titel dieses Romans stand für ihn von Anfang an fest. 4
Was ist »der schwarze Obelisk«? Wofür steht er? Ist er ein verbindendes Symbol für eine Gesamtdeutung der verwirrenden Vielfalt von Temen und Perspektiven in diesem Roman? In einer Besprechung kurz nach Erscheinen des Romans heißt es:
Der schwarze Obelisk steht als dunkler Spiegel in diesem Werk, leibhafig und rätselhaf, wie dieses reiche Buch selbst. 5 Die Basler Nachrichten formulieren im August 957:
... das Prunkstück (des Grabsteingeschäfs), der schwarze Obelisk, ist Zeichen und Fanal für eine verlogene, prunkende und völlig tote bürgerliche Ideologie. 6
Der seit den Schultagen mit Remarque bekannte Osnabrücker Hanns-Gerd Rabe betitelt seine Kritik in der Osnabrücker Neuen Tagespost mit: »Dunkles Spiegelbild des Osnabrück von 923«. 7 Das Rätseln in der Kritik über den Sinn des Obelisk-Symbols, soweit es überhaupt als solches zur Kenntnis genommen wird, führt zu keinen schlüssigen Lösungen. Die Zitate ließen sich in großer Vielfalt und Widersprüchlichkeit ergänzen.
Was bedeutet der schwarze Obelisk als das titelgebende, den Roman durchziehende Zentralsymbol, als möglicher Eckpfeiler der Romanstruktur? Auf welche Weise mag der schwarze Stein den Autor inspiriert haben, der ihm schon früh beim Schreiben als ein Leitelement des Romans diente? Was fängt der heutige Leser damit an? Was war seine Funktion für die Lektüre in den 50er Jahren?
»Schwarze Obelisken« stehen für Remarque überall in einer Welt, die in seinen Augen auf dem Höhepunkt des »Kalten Krieges« in den 50er Jahren den Dritten Weltkrieg als unausweichlich zu akzeptieren schien:
Die Welt liegt wieder im fahlen Licht der Apokalypse, der Geruch des Blutes und der Staub der letzten Zerstörung sind noch nicht verflogen, und schon arbeiten Laboratorien und Fabriken aufs Neue mit Hochdruck daran, den Frieden zu erhalten durch die Erfindung von Waffen, mit denen man den ganzen Erdball sprengen kann. 8
So wie die Menschen es nicht vermocht hatten, den Zweiten Weltkrieg nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs zu verhindern, so bedrohlich ist auch heute noch die Lage, in der zahllose Interkontinentalraketen auf ihren Abschußrampen für den Knopfdruck zum atomaren Holocaust bereitstehen. Der schwarze Obelisk wird im Roman an einer Stelle als der «finstere Steinfinger, der aus der Erde in den Himmel zeigt»
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