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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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finde, daß Bodo ziemlich weitgeht, in diesen Zeiten selbst von einem so einfachen menschlichen Organ noch Charakter zu verlangen; aber es ist trotzdem erhebend, gerade deswegen. In faulen Zeiten soll man unmögliche Ansprüche stellen.
      «Wir gehen bald», sagt Bodo noch. «Ihr auch?»
      «Sofort.»
      Wir zahlen und erheben uns. Bevor wir an der Tür sind, sind die Hüter der Nationalhymne bereits draußen. Sie haben wie durch Zauber auf einmal Knüppel, Steine und Schlagringe in den Händen. Im Halbkreis stehen sie vor dem Eingang.
      Bodo ist plötzlich zwischen uns. Er schiebt uns zur Seite, und seine zwölf Mann gehen vor uns durch die Tür. Sie bleiben draußen stehen. «Irgendwelche Wünsche, Ihr Rotzköpfe?» fragt Bodo.
      Die Hüter des Reiches starren uns an. «Feiglinge!» sagt schließlich der Befehlshaber, der mit zwanzig Mann über uns drei herfallen wollte. «Wir werden euch schon noch erwischen!»
      «Sicher», sagt Willy. «Dafür haben wir ein paar Jahre im Schützengraben gelegen. Seht aber zu, daß ihr immer drei- oder viermal so viele seid. Übermacht gibt Patrioten Zuversicht.»
      Wir gehen mit Bodos Verein die Große Straße hinunter. Die Sterne stehen am Himmel. In den Läden brennt Licht. Manchmal, wenn man mit Kameraden vom Kriege zusammen ist, erscheint einem das immer noch sonderbar und herrlich und atemberau bend und unbegreiflich: daß man so dahinschlendern kann und frei ist und lebt. Ich verstehe plötzlich, was Wernicke gemeint hat mit der Dankbarkeit. Es ist eine Dankbarkeit, die sich nicht an jemand richtet – einfach die, davongekommen zu sein für etwas mehr Zeit – denn wirklich davon kommt natürlich keiner.
      «Ihr müßt ein anderes Café haben», sagt Bodo. «Wie ist es mit unserem? Da gibt es keine solchen Brüllaffen. Kommt mit, wir zeigen es euch!»
      Sie zeigen es uns. Unten gibt es Kaffee, Selters, Bier und Eis – oben sind die Versammlungsräume. Bodos Verein ist ein Gesangsverein. Die Stadt wimmelt von Vereinen, die alle ihre Vereinsabende, ihre Statuten, ihre Tagesordnungen haben und sich sehr wichtig und ernst nehmen. Bodos Verein tagt donnerstags im ersten Stock.
      «Wir haben einen schönen vierstimmigen Männerchor», sagt er. «Nur im ersten Tenor sind wir etwas schwach. Komisch, es sind wohl sehr viele erste Tenöre im Kriege gefallen. Und der Nachwuchs ist erst im Stimmbruch.»
      «Willy ist ein erster Tenor», erkläre ich.
      «Tatsächlich?» Bodo sieht ihn interessiert an. «Sing mal diesen Ton nach, Willy.»
      Bodo flötet wie eine Drossel. Willy flötet nach. «Gutes Material», sagt Bodo. «Nun diesen!»
      Willy schaf auch den zweiten. «Werde Mitglied», drängt Bodo jetzt. «Wenn es dir nicht paßt, kannst du ja immer wieder austreten.»
      Willy ziert sich etwas, aber zu unserem Erstaunen beißt er an. Er wird sofort zum Schatzmeister des Klubs ernannt. Dafür zahlt er eine doppelte Lage Bier und Schnaps und fügt für alle Erbsensuppe und Eisbein hinzu. Bodos Verein ist politisch demokratisch; nur im ersten Tenor haben sie einen konservativen Spielwarenhändler und einen halbkommunistischen Schuster; aber bei ersten Tenören kann man eben nicht wählerisch sein, es gibt zu wenige. Bei der dritten Lage erzählt Willy, daß er eine Dame kenne, die ebenfalls ersten Tenor singen könne und sogar Baß. Der Verein schweigt, kaut Eisbein und zweifelt. Georg und ich greifen ein und erklären die Duettfähigkeit Renée de la Tours. Willy schwört, daß sie kein wirklicher Baß sei, sondern von Geburt reiner Tenor. Darauf wird mit mächtigem Beifall geantwortet. Renée wird in Abwesenheit zum Mitglied und sofort zum Ehrenmitglied ernannt. Willy spendet die Runden dafür. Bodo träumt von mysteriösen Sopraneinlagen, wodurch andere Gesangvereine bei Sängerfesten wahnsinnig werden sollen, weil sie glauben müssen, daß Bodos Klub einen Eunuchen bei sich habe, zumal Renée natürlich in Männerkleidung aufreten muß, da der Verein sonst als gemischter Chor klassifiziert würde.
      «Ich werde es ihr heute abend noch sagen», erklärt Willy. «Kinder, wird sie lachen! In allen Stimmlagen!»
      Georg und ich gehen schließlich. Willy bewacht vom ersten Stock aus den Platz; er rechnet, als alter Soldat, noch mit einem Hinterhalt der Hüter der Nationalhymne. Aber nichts geschieht. Der Marktplatz liegt ruhig unter den Sternen. Rundum stehen die Fenster der Kneipen offen. Gewaltig dringt es aus Bodos Vereinslokal:

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