Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
und der Sundainseln!»
      «Gut! Erhitze ihn! Aber warum sind wir nicht selbst auf den Inseln der Hoffnung und schlafen mit Frauen, die nach Zimt riechen und deren Augen weiß werden, wenn wir sie unter dem südlichen Kreuz begatten, und die Schreie ausstoßen wie die Papageien und die Tiger? Antworte!»
      Die blaue Flamme des Spirituskochers brennt wie das blaue Licht des Abenteuers im Halbdunkel des Büros. Der Regen rauscht wie das Meer. «Wir sind auf dem Weg, Kapitän», sage ich und nehme einen gewaltigen Zug Kornschnaps, um Georg nach zukommen. «Die Karavelle passiert gerade Santa Cruz, Lissabon und die Goldküste. Die Sklavinnen des Arabers Mohammed ben Hassan ben Watzek starren aus ihren Kajüten und winken. Hier ist Eure Wasserpfeife!»
      Ich reiche Georg eine Zigarre aus der Kiste für die besten Agenten. Er entzündet sie und bläst ein paar tadellose Rauchringe. Sein Pyjama zeigt dunkle Wasserflecke. «Auf dem Wege», sagt er. «Warum sind wir noch nicht da?»
      «Wir sind da. Man ist immer und überall da. Zeit ist ein Vorurteil. Das ist das Geheimnis des Lebens. Man weiß es nur nicht. Man bemüht sich immer, irgendwo anzukommen!»
      «Warum weiß man es nicht?» fragt Georg.
      «Zeit, Raum und das Kausalgesetz sind der Schleier der Maja, der die freie Sicht behindert.»
      «Warum?»
      «Sie sind die Peitschen, mit denen Gott verhindert, daß wir ihm gleich werden. Er jagt uns mit ihnen durch ein Panorama von Illusionen und durch die Tragödie der Dualität.»
      «Welcher Dualität?»
      «Der von Ich und Welt. Von Sein und Leben. Objekt und Subjekt sind nicht mehr eins. Geburt und Tod sind die Folgen. Die Kette klirrt. Wer sie zerreißt, zerreißt auch Geburt und Tod. Laßt es uns versuchen, Rabbi Kroll!»
      Der Wein dampf. Er riecht nach Gewürznelken und Zitronen. Ich gebe Zucker hinein, und wir trinken. Beifall kommt aus der Kabine des Sklavenschiffes Mohammed ben Hassan ben Jussuf ben Watzek auf der anderen Seite des Golfes. Wir verneigen uns und setzen die Gläser nieder. «Wir sind also unsterblich?» fragt Georg kurz und ungeduldig.
      «Nur hypothetisch», erwidere ich. «In der Teorie – denn unsterblich ist der Gegensatz zu sterblich – also bereits eine Dualitätshälfe. Erst wenn der Schleier der Maja völlig reißt, geht die Dualität zum Teufel. Dann ist man heimgekehrt, nicht mehr Objekt und Subjekt, sondern beides in einem, und alle Fragen sterben.»
      «Das ist nicht genug!»
      «Was gibt es weiter?»
      «Man ist. Punkt.»
      «Auch das ist der Teil eines Paares: Man ist, man ist nicht. Immer noch Dualität, Kapitän! Wir müssen darüber hinaus!»
      «Wie? Wenn wir die Schnauze aufmachen, haben wir sofort wieder den Teil eines anderen Paares am Wickel. Das geht nicht so weiter! Sollen wir stumm durchs Leben gehen?»
      «Das wäre der Gegensatz zu nicht-stumm.»
      «Verflucht! Wieder eine Falle! Was tun, Steuermann?»
      Ich schweige und hebe das Glas hoch. Rot leuchtet der Reflex des Weines. Ich zeige auf den Regen und hebe ein Stück Granit von den Gesteinsproben hoch. Dann zeige ich auf Lisa, auf den Reflex im Glase, das Flüchtigste der Welt, auf den Granit, das Beständigste der Welt, stelle das Glas und den Granit fort und schließe die Augen. Etwas wie ein Schauer läuf mir bei all dem Hokuspokus plötzlich den Rücken entlang. Sind wir vielleicht unwissentlich auf eine Spur geraten? Haben wir im Suff einen magischen Schlüssel erwischt? Wo ist auf einmal das Zimmer? Treibt es im Universum? Wo ist die Welt? Passiert sie gerade die Plejaden? Und wo ist der rote Reflex des Herzens? Ist er Polarstern, Achse und Zentrum in einem?
      Frenetisches Beifallsklatschen von gegenüber. Ich öffne die Augen. Einen Moment ist keine Perspektive da. Alles ist flach und weit und nah und rund zur selben Zeit und hat keinen Namen. Dann wirbelt es zurück und steht still und ist wieder das, was es heißt. Wann war das schon einmal so? Es war schon einmal so!
    Ich weiß es irgendwoher, aber es fällt mir nicht ein.
      Lisa schwenkt eine Flasche Kakaolikör aus dem Fenster. In diesem Augenblick geht die Türglocke. Wir winken Lisa hastig zu und schließen das Fenster. Bevor Georg verschwinden kann, öffnet sich die Bürotür, und Liebermann, der Friedhofswärter des Stadtfriedhofes, tritt ein. Er umfaßt mit einem Blick den Spirituskocher, den Glühwein und Georgs Pyjama und krächzt: «Geburtstag?»
      «Grippe», erwidert

Weitere Kostenlose Bücher