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Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend

Titel: Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Erde!»
      «Sklaven und Knechte gäbe es dann! Kriecher vor dem unmenschlichen Vertrag von Versailles!»
      «Der Vertrag von Versailles! Natürlich!» Georg tut einen Schritt vorwärts. Der Duf des Glühweins umschwebt ihn stark. «Hätten wir den Krieg gewonnen, dann hätten wir unsere Gegner natürlich mit Liebe und Geschenken überhäuf, was? Hast du vergessen, was du und deine Genossen alles annektieren wollten? Die Ukraine, Brie, Longwy und das gesamte Erz- und Kohlenbecken Frankreichs? Hat man uns die Ruhr weggenommen? Nein, wir haben sie noch! Willst du behaupten, daß unser Friedensvertrag nicht zehnmal härter geworden wäre, hätten wir nur einen diktieren können? Habe ich deine große Schnauze darüber nicht selbst noch 97 gehört? Frankreich sollte ein Staat dritten Ranges werden, riesige Stücke Rußlands müßten annektiert werden, und alle Gegner hätten zu zahlen und Sachwerte abzuliefern bis zum Weißbluten! Das warst du, Heinrich! Jetzt aber brüllst du im Chor mit über die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde. Es ist zum Kotzen mit eurem Selbstmitleid und eurem Rachegeschrei! Immer ist ein anderer schuld! Ihr stinkt vor Selbstgerechtigkeit, ihr Pharisäer! Wißt ihr nicht, daß das erste Zeichen eines Mannes darin besteht, daß er dafür einsteht, was er getan hat? Euch aber ist nie etwas anderes als das größte Unrecht geschehen, und ihr unterscheidet euch nur in einem von Gott – Gott weiß alles, aber ihr wißt alles besser.»
      Georg sieht sich um, als erwache er. Sein Gesicht ist jetzt so rot wie sein Pyjama, und sogar die Glatze hat eine rosige Farbe. Heinrich ist erschreckt zurückgewichen. Georg folgt ihm. Er ist sehr wütend. Heinrich weicht weiter zurück. «Steck mich nicht an!» schreit er. «Du bläst mir ja deine Bazillen ins Gesicht! Wohin soll das führen, wenn wir beide die Grippe haben?»
      «Niemand dürfe mehr sterben», sage ich.
      Es ist ein schönes Bild, die kämpfenden Brüder zu sehen. Georg im roten Satinpyjama, schwitzend vor Wut, und Heinrich im kleinen Gesellschafsanzug, voller Sorge, die Grippe zu erwischen. Die Szene wird außer mir noch von Lisa beobachtet, die in einem Morgenrock mit eingedruckten Segelschiffen trotz des Wetters weit aus dem Fenster hängt. Im Hause Knopf steht die Tür offen. Der Regen hängt wie ein Vorhang von Glasperlen davor. Es ist so dunkel drinnen, daß die Mädchen bereits Licht gemacht haben. Man könnte glauben, sie schwämmen da herum wie die Rheintöchter Wagners. Unter einem riesigen Schirm wandelt der Tischler Wilke wie ein schwarzer Pilz über den Hof. Heinrich Kroll verschwindet, buchstäblich von Georg aus dem Büro gedrängt. «Gurgeln Sie mit Salzsäure», rufe ich ihm nach. «Grippe ist bei Leuten Ihres Schlages tödlich.»
      Georg bleibt stehen und lacht. «Was bin ich für ein Idiot», sagt er. «Als ob die Sorte je etwas lernen würde!»
      «Woher hast du das Pyjama?» frage ich. «Bist du in die kommunistische Partei eingetreten?»
      Händeklatschen kommt von gegenüber. Lisa überschüttet Georg mit Beifall – ein starkes Stück von Disloyalität gegen Watzek, den aufrechten Nationalsozialisten und künfigen Schlachthofdirektor. Georg verneigt sich, die Hand aufs Herz gedrückt. «Leg dich ins Bett», sage ich. «Du bist ja ein Springbrunnen, so schwitzest du!»
      «Schwitzen ist gesund! Schau dir den Regen an! Da schwitzt der Himmel. Und drüben das Stück Leben, in seinem offenen Morgenrock, mit weißen Zähnen und voll von Gelächter! Was tun wir hier? Warum zerspringen wir nicht wie Feuerwerk? Wenn wir einmal richtig wüßten, was Leben ist, würden wir zerspringen! Wozu verkaufe ich Denkmäler? Warum bin ich nicht eine Sternschnuppe? Oder ein Vogel Greif, der über Hollywood hinstreicht und die wunderbarsten Frauen aus ihren Swimmingpools raubt? Weshalb müssen wir in Werdenbrück leben und Kämpfe im Café Central haben, anstatt eine Karawane nach Timbuktu auszurüsten und mit mahagonifarbenen Trägern in den weiten afrikanischen Morgen zu ziehen? Warum haben wir kein Bordell in Yokohama? Antworte! Es ist wichtig, das sofort zu wissen! Warum schwimmen wir nicht mit purpurnen Fischen um die Wette in den roten Abenden von Tahiti? Antworte!»
      Er greif nach der Flasche Kornschnaps. «Halt!» sage ich. «Es ist noch Wein da. Ich werde ihn sofort auf dem Spirituskocher heiß machen. Keinen Schnaps jetzt! Du hast Fieber! Roten, heißen Wein, gewürzt mit den Spezereien Indiens

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