Der Schwarze Orden
rechts und ging mitten auf der Straße weiter. Es waren wesentlich weniger Leute unterwegs, als ihr lieb war.
Sie blickte im Gehen immer wieder nach links und rechts, als betrachtete sie die Schaufenster der teuren Geschäfte, von denen viele, obwohl geschlossen, hell erleuchtet waren. Rechts hinter ihr sprach der untersetzte Mann, der inzwischen die Baskenmütze abgenommen hatte, in ein Handy. Links folgte ihr auf gleicher Höhe ein großer, dünner Mann mit einer Hakennase und einem leichten Buckel. Sie hatten sie in die Zange genommen. Was hatten sie vor? Der Entführungsversuch erfolgte am Ende der Kärntnerstraße, wo wieder Autoverkehr herrschte.
Paula wurde auf eine Frau mit einer Chanel-Tragetüte aufmerksam, die vor ihr herging. Sie hatte schulterlanges kastanienbraunes Haar und trug eine ärmellose weiße Baumwollbluse und einen kurzen marineblauen Rock. Paula schätzte sie auf Mitte dreißig. Als sie sich umdrehte, sah Paula, daß sie sehr schön war. Aber es waren vor allem ihr eleganter Gang, ihre Körpersprache, die Paulas Aufmerksamkeit erregt hatten. Zweimal hatte Paula die verschleierte Frau gesehen, einmal beim Betreten und einmal beim Verlassen des Hauses, in dem sich Engels Wohnung befand. War sie die Frau vor ihr?
Je länger sie die Frau beobachtete, desto sicherer wurde sie. Was war aus dem schwarzen Gewand und dem Schleier geworden? Paula begann schon zu denken, sie hätte sich getäuscht, doch dann fiel ihr Blick noch einmal auf die Chanel-Tüte. In diesem Moment kam der untersetzte Mann auf sie zu.
»Entschuldigung, Sie haben etwas fallengelassen.«
Osteuropäischer Akzent. Ohne stehenzubleiben, antwortete Paula: »Dann heben Sie es doch auf und…«
Der Mann ließ sich zwar etwas zurückfallen, folgte ihr aber weiter. Als Paula wieder nach vorn blickte, war die brünette Frau verschwunden. Deshalb also das Ablenkungsmanöver! Als Paula das Ende der Kärntnerstraße erreichte, hielt dicht neben ihr eine lange schwarze Limousine. Der Fahrer beugte sich über die Rückenlehne und öffnete die hintere Tür. Paula blieb stehen. Im selben Moment legte sich eine verschwitzte Hand auf ihren Mund, und jemand versuchte sie von hinten in den Wagen zu schieben.
Paula wußte, bei einer Entführung bestand nur im Moment des eigentlichen Überfalls eine Chance zu entkommen. Deshalb wand sie sich so lange in den Armen ihres untersetzten Angreifers, bis sie ihm gegenüberstand. Sie hob ein Bein und trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß, so daß er vor Schmerzen laut aufstöhnte. Dann rammte sie ihm das rechte Knie in den Unterleib. Als er ächzend vornüber sackte, sah sie den dünnen Mann mit der Hakennase auf sich zu kommen. Er hielt ein kurzes Stück Seil zwischen den Händen gespannt. Sie griff gerade nach ihrer Browning, als links von ihr ein dritter Mann, eine riesige affenartige Gestalt, auftauchte. Wie von einem Schraubstock wurde ihr rechter Arm seitlich an ihren Körper gedrückt. Es war aussichtslos. Gegen eine solche Überzahl hatte sie keine Chance.
»Ist das etwa eine Art, eine Dame zu behandeln? An Ihrer Stelle würde ich das lieber bleiben lassen, mein Freund.«
Eine vertraute Stimme, kultiviert, gelassen, ironisch. Marler. Ein Kollege Paulas beim SIS. Um den Hals des Affenmenschen hatte sich ein in elegantes Tuch gekleideter Arm gelegt, der ihm die Luftröhre zudrückte. Dem Affen traten fast die Augen aus den Höhlen, und er ließ Paula los. Gleichzeitig ertönte wieder die distinguierte Stimme.
»Ich würde vorschlagen, Sie nehmen sich des Fahrers an, Paula. Zwecks Informationsbeschaffung.«
Als sie daraufhin um den Wagen herumrannte, stieß Marler den Affen unvermutet nach vorn, so daß dieser gegen den Kerl mit der Hakennase prallte. Mit der Browning in der Hand stürzte Paula auf das offene Fahrerfenster zu und richtete die Waffe aus nächster Nähe in das Wieselgesicht des Fahrers.
»Du hast noch genau zehn Sekunden zu leben«, zischte sie. »Zündung aus. So ist es brav. Noch sechs Sekunden, bis ich abdrücke. Wer ist dein Boß? Und denk bloß nicht, ich würde nicht merken, wenn du mich anlügst.«
»Assam«, stieß der Mann heiser hervor.
Eine Polizeisirene kam rasch näher. Marler hatte inzwischen den Affen und die Hakennase mit dem Griff seiner Walther außer Gefecht gesetzt. Er hievte die zwei Männer in den Fond des Wagens, warf die Tür zu, rannte nach vorn und riß die Tür auf.
Er beugte sich hinein, zog den Zündschlüssel und versetzte mit der anderen Hand
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