Der Schwarze Papst
Liebe: eine Sehnsucht, die sich trotzig gegen die Realität stemmte. Die Seele: zerfurcht. Er hatte gelebt. Bald war es vorbei. Ob in diesem Jahr oder im nächsten - welche Rolle spielte das?
Zeit, sein Erbe zu überdenken.
Reformen, danach verlangten die Menschen, sagte Sandro immer. Was Sandro nie sagte, aber meinte, war: Das Zeitalter eines Papsttums, das seine Augen vor den Mängeln der Kirche nicht nur verschloss, sondern diese Mängel mit verursachte, neigte sich dem Ende entgegen. Möglich, dass das stimmte, dass Julius ein Relikt war, ein Überbleibsel. Seit Wochen lagen Sandro und andere Renegaten ihm in den Ohren, eine erste Reformbulle in Auftrag zu geben, gleichsam den Schritt in eine neue Zeit zu wagen. Doch er hatte sich immer dagegen gesträubt.
Nun, unangenehm von der Lethargie berührt, war es ihm egal.
Was Sandro betraf, so galt es, energischer als bisher seine Karriere zu fördern, ihn noch stärker einzubinden.
Ein sirrendes Geräusch. Ein einzelnes, hohles Pochen. Ein Stöhnen. Der Sturz eines Menschen.
Als Sandro sich umdrehte, lag Milos lebloser Körper mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und ein Messer ragte wie ein kleiner Mast aus seinem Rücken.
Verwirrt blickte Sandro sich um und entdeckte Angelo, der sich aus einem Fenster im ersten Stock des Collegiums lehnte.
»Seid Ihr wohlauf, Exzellenz?«
»Ja, ich …«
»Ist er tot?«
»Ich - glaube schon.«
Angelo stieß erleichtert die Luft aus. »Ein Glück, dass ich ein neugieriger Mensch bin. Ich wollte hören, was Ihr Gisbert von Donaustauf zu sagen hattet, und dann sah ich, wie Milo auf Euch zuschlich.«
»Und - die Waffe? Woher …?«
»Wer nachts so viel wie ich auf den Beinen ist, sollte immer ein Messer dabeihaben und wissen, wie man damit umgeht.«
»Du hast mir das Leben gerettet, Angelo.«
Angelo nickte. »Ja, was man nicht alles tut, um Karriere zu machen.«
Sie lachten einander zu.
Sandro betrachtete es als seine Pflicht, Signora A persönlich über den Tod ihres Sohnes zu informieren. Er fand sie vor den Trümmern des abgebrannten Hurenhauses. Sie war allein. Keine der Huren war bei ihr, vermutlich suchten sie bereits nach einem neuen Arbeitsplatz. Noch immer goss die Brandwehr Wasser auf die glimmenden Balken, und die Signora sah ihnen teilnahmslos zu. Ahnte sie, dass Milo diese Katastrophe zu verantworten
hatte? Wenn ja, unterdrückte sie diesen Gedanken. Als Sandro ihr das Nötige mitgeteilt hatte, trat das ein, was er erwartet hatte: Sie richtete ihren Zorn gegen ihn, leugnete, dass ihr Sohn ein Mörder war, und warf Sandro vor, seine guten Beziehungen benutzt zu haben, um Milo zu verleumden. Sie schlug ihn, jagte ihn weg. Er verübelte es ihr nicht. Sie hatte an einem einzigen Tag ihr Kind und ihr Lebenswerk verloren. Das erst jüngst angetretene Erbe - das sie den Jesuiten hatte schenken wollen - würde verhindern, dass sie verarmte. Aber es ersetzte nicht die Verluste.
Es war bereits Abend, als Sandro ins Collegium zurückkehrte. Angelo sagte ihm, dass der Ehrwürdige ihn zu sprechen wünsche.
»Er ist in der Kapelle, Exzellenz. Miguel Rodrigues ist bei ihm.«
»Wie geht es dem Ehrwürdigen?«
»Doktor Pinetto sagt, er sei schwach, aber ruhig. Man hat ihm ein Beruhigungsmittel gegeben.«
Sandro betrat die Kapelle und wurde von Miguel Rodri - gues, der neben Loyola auf der Bank saß, bemerkt. Rodrigues stand auf, verabschiedete sich mit einer stummen Verneigung von Loyola und wollte an Sandro, der an der Pforte stehen geblieben war, vorbeigehen. Sandro hielt ihn am Arm fest.
»Was soll das?«, flüsterte Rodrigues. »Lasst mich los.«
Auch Sandro flüsterte, damit Loyola nichts von dem Gespräch hörte. »Wir müssen reden.«
»Ihr behauptet die schlimmsten Dinge über den seligen Bruder Luis. Er sei ein Mörder! Das sind gemeine Lügen. Ich habe Euch nichts mehr zu sagen.«
»Gut, dann rede nur ich. Eines vorweg: Es ist mir ganz egal, welche Meinung Ihr von mir habt. Und jetzt zum Eigentlichen, ich mache es kurz. Erstens: Ihr, Bruder Rodrigues, werdet morgen früh verkünden, dass Ihr aus dem Orden der
Jesuiten austretet, und zwar mit der Begründung, dass Luis’ Machenschaften eine zu große Enttäuschung für Euch seien, die Ihr nicht verkraften könnt.« Rodrigues wollte protestieren, aber Sandro presste ihm die Hand auf den Mund. »Gewissermaßen stimmt das sogar, denn wenngleich Luis kein Mörder war, so war er ein Intrigant und Verschwörer der schlimmsten Sorte, Ihr wisst das
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