Der schwarze Schleier
großen Einfluss unter unseren Schülern und schrieb ein Spottgedicht, das folgendermaßen begann:
»Wer stellte sich als mild und freundlich dar,
dass er kaum je zu hören war,
und war Verräter ganz und gar?
Old Cheeseman.«
– und so weiter und so fort, mehr als ein Dutzend Verse, die er jeden Morgen in der Nähe des Pults unseres neuenLehrers zu singen pflegte. Er flüsterte es auch einem der Jungen aus den unteren Klassen ein, einem frechen Knirps mit rosigen Wangen, dem es einerlei war, was er machte, eines Morgens mit seiner lateinischen Grammatik zu ihm zu gehen und Folgendes zu sagen:
nominativus pronomium
– Old Cheeseman,
raro exprimitur
– wurde niemals verdächtigt,
nisi distinctionis
– ein Verräter zu sein,
aut emphasis gratia
– bis er sich als einer erwies.
Ut
– zum Beispiel,
vos damnastis
– als er die Jungen gegen Mammon verriet. Quasi – als ob,
dicat
– er sagte,
praetaerea nemo
– ich bin ein Judas! All dies hatte eine große Wirkung auf Old Cheeseman. Er hatte nie viel Haar gehabt, aber das wenige begann nun täglich schütterer und schütterer zu werden. Er wurde bleich und ausgemergelt; und manchmal sah man ihn abends an seinem Pult sitzen mit einem unbändig langen Docht an der Kerze, die Hände vors Gesicht geschlagen und weinend. Aber keinem Schüler im Verein tat er leid, selbst wenn es diesen danach verlangt hätte, denn der Präsident erklärte, das sei nur das schlechte Gewissen von Old Cheeseman.
Und so ging es weiter mit Old Cheeseman, und führte er nicht ein jämmerliches Leben! Natürlich rümpfte Hochwürden die Nase über ihn, und natürlich
sie
auch – denn das machten die beiden mit allen Lehrern –, aber am meisten hatte er von den Schülern zu leiden, und er litt ständig unter ihnen. Er sprach nie darüber, soweit der Verein wusste; aber das rechnete man ihm keineswegs hoch an, denn der Präsident meinte, das sei nur der Feigheit von Old Cheeseman zuzuschreiben.
Er hatte nur eine einzige Freundin auf der ganzen Welt und die war beinahe so machtlos wie er selbst, denn es war nur Jane. Jane war eine Art Kleiderfrau für unsere Schüler, und sie kümmerte sich um die Schrankkoffer. Sie war, glaube ich, zunächst als so etwas wie ein Lehrling hierhergekommen– einige unserer Schüler meinen, von einer wohltätigen Einrichtung, aber das weiß ich nicht –, und nach ihrer Lehrzeit war sie einfach dageblieben, für so und so viel pro Jahr. So wenig pro Jahr, sollte ich vielleicht sagen, denn das ist viel wahrscheinlicher. Sie hatte jedoch ein paar Pfund in die Sparkasse eingezahlt, und sie war eine sehr nette junge Frau. Sie war nicht eigentlich hübsch; aber sie hatte ein offenes, ehrliches und kluges Gesicht, und alle unsere Schüler mochten sie gern. Sie war außergewöhnlich adrett und fröhlich, und außergewöhnlich trostreich und freundlich. Und wenn irgendetwas mit der Mutter eines Schülers nicht stimmte, dann ging er zu Jane und zeigte ihr den Brief.
Jane war Old Cheeseman eine gute Freundin. Je mehr sich der Verein gegen ihn wandte, desto mehr stand Jane zu ihm. Sie warf ihm manchmal aus dem Fenster ihrer Vorratskammer einen wohlmeinenden Blick zu, der ihm den ganzen Tag vergoldete. Sie ging gewöhnlich aus dem Obsthain und dem Küchengarten (die stets verschlossen waren, das könnt ihr mir glauben!) durch den Spielhof zurück, obwohl sie doch einen anderen Weg hätte einschlagen können, einzig um Old Cheeseman mit einer Kopfbewegung anzudeuten: »Nur den Mut nicht verlieren!« Sein winziges Zimmer war stets so frisch und ordentlich, dass es wohlbekannt war, wer sich darum kümmerte, während er an seinem Pult saß; und wenn unsere Schüler beim Abendessen einen dampfend heißen Kloß auf seinem Teller gewahrten, wussten sie voller Empörung, wer ihm den serviert hatte.
Unter diesen Umständen beschloss der Verein nach einer ganzen Reihe von Zusammenkünften und Debatten, dass Jane aufgefordert werden sollte, Old Cheeseman zu schneiden, und dass sie, sollte sie sich weigern, ebenfalls links liegen gelassen werden sollte. Also wurde eine Delegationunter der Führung des Präsidenten damit beauftragt, auf Jane zu warten und sie von der Entscheidung in Kenntnis zu setzen, die der Verein für schmerzlich notwendig befunden hatte. Sie genoss wegen all ihrer guten Eigenschaften unseren höchsten Respekt, und man erzählte sich die Geschichte, dass ihr mitleidiges Herz sie einmal dazu gedrängt hatte, Hochwürden in seinem Arbeitszimmer aufzulauern,
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