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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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und dann fragen Sie mich!«, erwiderte sie.
    Der Arzt wandte sein Gesicht zum Bett und beugte sich über den Leichnam, der nun voll im Licht des Fensters lag.
    Der Hals war geschwollen, und ein fahlblaues Mal umringte ihn. Plötzlich leuchtete dem jungen Arzt die Wahrheit auf.
    »Dies ist einer der Männer, die heute Morgen gehenkt wurden!«, rief er aus und drehte sich mit einem Schaudern weg.
    »Ja«, erwiderte die Frau mit kaltem, leerem Blick.
    »Wer war er?«, wollte der Arzt wissen.
    »Mein Sohn«, antwortete die Frau und sank ihm bewusstlos vor die Füße.
    Es stimmte. Einen Komplizen, der genauso schuldig war wie er selbst, hatte man aus Mangel an Beweisen freigesprochen; und dieser Mann war zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. In unserer fernen Zeit die näheren Umstände des Falles zu erläutern scheint mir unnötig und könnte zudem einigen noch lebenden Personen Kummer bereiten.
    Es war eine alltägliche Geschichte. Die Mutter war eine Witwe ohne Freunde und ohne Mittel, und sie hatte sich alles vom Munde abgespart, um es ihrem Waisenjungen zugutekommen zu lassen. Dieser Junge hatte, keinerlei Rücksicht auf ihre Gebete nehmend und die Leiden, die sie seinetwegen erduldet hatte – ständige Unruhe der Gedanken und freiwilliges Aushungern des Körpers –, aus seinem Gedächtnis verdrängend, den Weg der Ausschweifung und des Verbrechens eingeschlagen.
    Und dies hier war das Ergebnis: sein Tod von der Hand des Henkers und die Schande und der unheilbare Wahnsinn seiner Mutter.
    Viele Jahre nach diesem Vorfall, wenn einträgliche und beschwerliche andere Tätigkeiten manch anderen Mann hätten vergessen lassen, dass solche Jammergestalten existieren, war der junge Arzt noch täglich zu Besuch bei der harmlosen Wahnsinnigen; er tröstete sie nicht nur durch seine Gegenwart und Freundlichkeit, sondern linderte auch die Härte ihres Lebens durch Geldspenden, die ihrer Bequemlichkeit und ihrer Unterstützung zugutekamen und die er mit großzügiger Hand gab. In dem flüchtigen Aufflackern der Erinnerung und des Bewusstseins, das ihrem Tode voranging, entrang sich den Lippen dieses unglückseligen, verlassenen Wesens ein Gebet um sein Wohlergehen und seinen Schutz, das so inbrünstig war, wie es je eine sterbliche Seele geflüstert hat. Dieses Gebet schwebte gen Himmel und wurde erhört. Die Segnungen, die er ihr erwiesen hat, sind ihm seither tausendfach vergolten worden. Doch inmitten all der Ehrungen durch Rang und Titel, mit denen er seither überhäuft wurde und die er so sehr verdient hat, wärmte doch keine Erinnerung sein Herz mehr als die an den »Schwarzen Schleier«.

    Erstmals erschienen im Februar 1836 in »The First Series of Sketches by Boz«.

Die Geschichte des Schuljungen
    Da ich gegenwärtig noch recht jung bin – die Anzahl meiner Jahre nimmt zwar zu, aber ich bin immer noch recht jung –, kann ich nicht auf herausragende persönliche Abenteuer zurückgreifen. Es würde auch niemanden hier sonderlich interessieren, denke ich, was für ein Leuteschinder Hochwürden ist oder was für ein Ungeheuer
sie
ist oder wie sie die Eltern übers Ohr hauen – besonders für Haareschneiden und ärztliche Versorgung. Einem unserer Schüler haben sie in seiner Halbjahresabrechnung zwölf Shilling und Sixpence für Pillen aufgeschrieben – und er hat sie nicht mal genommen, sondern in seinem Jackenärmel verschwinden lassen.
    Und was das Rindfleisch betrifft, das ist eine Schande. Es ist
kein
Rindfleisch. Normales Rindfleisch besteht nicht aus Sehnen. Normales Rindfleisch kann man kauen. Und außerdem gibt es zu normalem Rindfleisch Bratensoße, und wir bekommen zu unserem niemals auch nur ein Tröpfchen davon zu sehen. Einer von den Schülern hier ist krank nach Hause gekommen und hat gehört, wie der Arzt der Familie seinem Vater gesagt hat, er könnte sich keinen Grund für seine Beschwerden denken, es sei denn das Bier. Natürlich war es das Bier, und das wundert niemanden!
    Allerdings ist Rindfleisch etwas ganz anderes als Old Cheeseman. Bier auch. Und ich wollte Ihnen ja von Old Cheeseman erzählen und nicht davon, wie man hier unseren Schülern wegen des Profits die Gesundheit ruiniert.
    Nun, man muss sich nur mal den Pastetenteig ansehen. Von mürbe keine Rede. Er ist steinhart – wie feuchtes Blei. Und dann bekommen unsere Schüler natürlich Albträume und werden vertrimmt, weil sie laut schreien und andere wecken. Wen wundert’s!
    Old Cheeseman ist eines Nachts im Schlaf

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