Der schwarze Tod
war.
Irgendwann kamen schwere Schritte den Gang entlang. Fackelschein geisterte über die Wände. Sibil kniff die Augen zu und presste sich gegen die Wand. Die Bucklige floh in den hintersten Winkel der Zelle. Nur die Alte blieb reglos liegen. Wächter erschienen und machten vor Sibils Zelle Halt. Die Gittertür wurde geöffnet.
„Du da!“ Ein Wachmann zeigte auf Sibil. „Mitkommen!“
Als Sibil nicht schnell genug in die Höhe kam, halfen zwei Wachleute nach. Sie zerrten sie in die Höhe, fesselten ihr die Hände auf dem Rücken und stülpten ihr einen stinkenden Sack über den Kopf.
„Wo bringt ihr mich hin? Was passiert mit mir?“, fragte Sibil, aber niemand bemühte sich um eine Antwort.
„Was ist mit der alten Vettel?“, hörte sie den einen Wachmann, und nach einer kurzen Weile den anderen: „Tot. Schafft sie raus.“
Sibil wurde voran gestoßen. Sie stolperte über die Schwelle und hörte, wie hinter ihr das Gitter abgesperrt wurde.
„Bringt ihr mich zum Verhör?“, fragte sie bang. „Ich wurde bereits verhört und habe gestanden! Ich bin unschuldig, aber ich habe gestanden! Bitte nicht die Folter!“
„Halt's Maul“, knurrte einer der Wachmänner und schubste sie unsanft vorwärts.
Der Sack war voller Ungeziefer, das Sibil im Gesicht kitzelte und unter ihr Hemd kroch. Sibil begann zu weinen. Sie sehnte sich nach ihrer Mutter, die seit vielen Jahren tot war. Wenn Gott Gnade und Wahrheit kannte, würde sie sie bald wiedersehen.
Sibil wurde ins Freie gebracht. Der Wind schnitt ihr in die nackten Beine. Als man sie hochhob, schrie sie – für einen Augenblick dachte sie, man hätte sie auf den Richtblock gehoben, aber dann waren es nur grobe Holzplanken, auf die man sie warf. In der Nähe schnaubte ein Pferd. Das Holz knarrte.
Weitere Menschen wurden zu ihr geworfen. Sibil kroch aus dem Weg und stieß an eine Umrandung. Schnell versuchte sie, den Sack abzustreifen, aber er reichte ihr bis auf die Hüften hinunter, und sie wurde mit einigen Schlägen ruhiggestellt. Rund um sie stöhnten und weinten Menschen oder sagten Gebete auf.
„Katharina?“, fragte sie verzagt. Keine Antwort.
Ein plötzlicher Ruck warf sie um. Hufgeklapper ertönte, und Sibil erkannte, dass sie sich auf einem Wagen befand. Wurde sie aus der Stadt gebracht?
„Wohin fahren wir?“, schrie sie panisch. „Wohin fahren wir?“
„Na, wohin wohl“, kam eine heisere Männerstimme von der Seite. „Zum Hexenplatz vor das Tor. Wir sind so viele, da braucht es einen großen Scheiterhaufen. Der Marktplatz fasst das nimmer.“
Eine eisige Kälte fasste nach Sibils Herz. Sie sollte tatsächlich sterben? Verbrannt werden, während die Menge zusah? Ihr Leben sollte jetzt und hier, in dieser Stunde beendet sein? Das war unvorstellbar. Sie lebte, ihr Herz schlug, das Blut rauschte durch ihre Adern, ihre Muskeln zuckten, und bald sollte das alles einfach aufhören.
Das Feuer reinigte und ließ die Seelen aufsteigen, das hatten die Frauen im Kerker gesagt. Würde ihre Seele ins Paradies eingehen? Wie viel hatte sie gesündigt? Sie hatte Schwarzbeeren im Wald gefunden und hatte niemandem etwas abgegeben. Bei der Arbeit hatte sie oft geträumt, und dem Vater auch nicht immer die Wahrheit gesagt. Reichte das für ewige Verdammnis?
Der Wagen rüttelte durch die Straßen. Irgendwann tauschten die Wachleute einen Gruß mit anderen, und der Wagen tauchte in einen kurzen Tunnel ein. Auf der anderen Seite war es heller, und die Luft roch frischer. Sie hatten die Stadt verlassen. Die Zugpferde fielen in Trab.
Sibil schob sich vorsichtig am Rand des Karrens in die Höhe. Sie wusste, wo der Hexenplatz lag. Wenn man einmal durch das Stadttor war, hatte man es nicht mehr weit. Es gab ein kleines Wäldchen in der Nähe, und sie hatte nichts zu verlieren.
Sibil stemmte sich hoch und ließ sich nach hinten kippen.
Sie schlug unsanft auf dem gefrorenen Boden auf. Der Zufall half ihr und beförderte den Sack halb über ihren Kopf. Während auf dem Karren Warnschreie abgegeben wurden, wand sie sich blitzschnell aus dem Sack und sah sich blinzelnd um.
Sie war zu früh abgesprungen. Das Wäldchen lag noch in einiger Entfernung. Sibil sprang auf die Füße und rannte. Die auf dem Rücken gefesselten Hände behinderten sie, doch sie heftete den Blick auf den Waldrand und sah nicht zurück.
Hinter ihr ertönten Schreie, und dann hörte sie das Klirren von Waffen und schwere Stiefel auf dem gefrorenen Boden.
„Bleib stehen, Miststück!“,
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