Mord im Bergwald
Prolog
In dem Moment, als Irmi sich bückte, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Es war mal wieder so weit. Sie wareinfach nicht dafür geboren – für den Bügel-BH. Ständigbohrte sich das Plastikteil in ihre Achselhöhle, nach spätestens fünf Waschgängen. Die teuren und die billigen BHs waren gleichermaßen tückisch. Einmal hatte sich Irmi einen BH für fünfzig Euro gekauft, sie war sich nachgerade verderbt vorgekommen, aber auch dieses luxuriöse Stück hattebinnen kürzester Zeit seinen Geist aufgegeben. Irmi nahmsich vor, künftig bei den Sport-BHs zu bleiben, den praktischen Dingern mit den breiten Trägern. Sie versuchte seufzend, den Bügel wieder in Position zu schieben, wo er etwadrei Sekunden verweilen würde, um sich dann erneut auf Wanderschaft zu begeben.
Kritisch betrachtete Irmi ihr Salatbeet. Jedes Jahr fühlte sie sich verpflichtet, wenigstens ein bisschen zu garteln – Salat, Tomaten, Karotten und Bohnen zu ziehen. Meist misslang diese Mission. Sie war als Kommissarin einfach zu wenig zu Hause, ein freier Montag wie der heutige war selten, die Schnecken und Mäuse waren immer schneller, die Sonne zu heiß, die Regengüsse zu sintflutartig ... Aber in ihrem Unterbewusstsein steckte tief drin die Vorstellung, dass eine gute Landfrau Gemüse zog, blütenrein wusch und Kuchen buk, die diesen entscheidenden Tick besser waren als die der Nachbarinnen. Lockerer, buttriger und exotischer. Eine gute Keine-wäscht-reiner-Hausfrau schneiderte auch ihre Kleidung selbst und war dabei glücklich.
Irmi runzelte die Stirn. Woher hatte sie diesen Unsinn? Schon ihre Mutter war zwar eine perfekte Bäuerin, aber alles andere als eine perfekte Hausfrau gewesen. Schon einen halben Tag bevor ein Tier erkrankte, hatte sie gewusst, dass etwas im Anzug war. Ihr Gemüsebeet war hingegen auch verwildert, ihre Kuchen eine Katastrophe. Erst mit Eismann und Bofrost begannen güldene Zeiten. Ihre Mutter hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, den Altdeutschen Apfelkuchen aus der Tiefkühltruhe als altes Familiengeheimrezept deklariert.
Irmi vermisste sie. Nicht ständig, nur manchmal dachte sie an ihre Mutter, und dann war ihr, als würde es schlagartig dunkel. Bodenlos tief fiel sie. Es gab viele Arten und Schattierungen von Schmerz. Nach jedem Liebeskummer gab es wieder Hoffnung auf einen Neubeginn. Auch wenn man den anfangs nicht sehen wollte und konnte. Aber dieser Schmerz hatte eine andere Dimension. Es gab keinen Neubeginn, es gab nur eine Mutter. Nur diesen einen Menschen, der bedingungslos liebte und bereit war, alles zu geben.
Der Schmerz kam jäh. Wie neulich, als Irmi eher zufällig ein paar Trinkgläser in der Spüle betrachtet hatte. Eines der Gläser war völlig trüb und undurchsichtig gewesen. Ihres, denn sie hatte Froschfinger, wie ihre Mutter immer wieder lachend gesagt hatte. Überall hinterließ sie Abdrücke. Das waren die Momente, in denen die Erinnerung an die Mutter sie überfiel und sie glaubte, nicht mehr atmen zu können.
In diesem Moment klingelte Irmis Handy. Es klang wie ein Telefon aus der Zeit, als es noch Wählscheiben gab. Sie hatte diesen Retroton eingestellt – nach diversen seltsamen Klingeltönen, die ihre Kollegin Kathi ihr aufgespielt hatte. Der übelste war »Der Kommissar geht um« gewesen. Wo war bloß das Handy? Es klang etwas gedämpft, und Irmi trat einen Salat platt beim Versuch, das Mobiltelefon zu orten.
Schließlich fiel ihr Blick auf den Stubentiger, der auf den lapidaren Namen »Kater« hörte. Kater lag auf einer schiefen Bank neben dem Beet. Er war dreizehn, ein Stoiker und sah keine Notwendigkeit, wegen eines Klingelns in der Magengegend aufzustehen. Bis Irmi ihn hochgewuchtet hatte – Kater hatte sicher acht Kilo –, war das Klingeln erstorben. Sie setzte Kater wieder ab und warf einen Blick aufs Display. Es war Sailer, ihr Kollege. Das verhieß nichts Gutes. Vor allem an einem freien Tag.
Irmi rief zurück, und was sie da zu hören bekam, verschlug ihr die Sprache. Sie atmete tief durch. »Kater, ich pack's, pass auf das Gemüse auf«, rief sie noch, aber Kater öffnete nicht mal die Augen.
Langsam zog Kathi sich wieder an. Sie schlüpfte in ihre Jeans, in das T-Shirt und drückte ihre Sonnenbrille in die verwuschelten Haare, die sie mühsam glättete. Dann warf sie einen Blick in den vergilbten Spiegel im Bauwagen. Korbinian war nach draußen gegangen, er rauchte.
Sie zog eine Grimasse. Die Zigarette danach, was für ein Klischee! Ein Bauwagen, den
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