Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
glühende Eisen auf die Wunde gehalten zu haben, aber offenbar hatte sie es getan. Erst hatte der Wikinger mit den Zähnen geknirscht, dann mit der linken Hand auf den Tisch geschlagen und gebrüllt. Oh, das konnte er; nie zuvor in ihrem Leben hatte sie solche Schreie gehört! Dann hatte er sie fortgestoßen, auch das konnte er gut. Er war wie einer jener berserkire , halb nackte und dabei unverwundbare Wikinger, von denen es hieß, dass sie sich vor einer Schlacht in einen Rausch tranken und brüllten und dann ganze Schildwälle allein sprengten. Nun stand Caitlín vor dem Kamin, das Brandeisen noch in der Hand. Die stickige Luft roch nach angesengtem Fleisch. Sie schüttelte sich. So heftig warf sie das Eisen zurück ins Feuer, dass Funken stoben.
Er war auf einen Hocker gesackt, hatte die Arme auf den Tisch gelegt und das Gesicht darin vergraben. War er ohnmächtig geworden? Die Wunde war scheußlich gerötet, aber verschlossen. Caitlín trat auf ihn zu.
So viele Geschichten hatten die Männer und Barden daheim allabendlich am Herdfeuer über die Wikinger erzählt, wenn das Ale kreiste und die Frauen schweigend spannen, nähten und stickten. Doch dieser Nordmann wollte nicht recht in jenes Bild passen. Er war weder blond oder rothaarig noch bärtig. Er trug zudem keinen Thorshammer um den Hals, sondern ein Kreuz fremder Machart. Warum? Wer war er?
O heilige Brigida! , dachte Caitlín, verärgert über sich selbst. Wozu stellte sie sich solche Fragen? Was scherten sie die Antworten? Er war ein Barbar, nichts weiter. Ein gefährlicher und unberechenbarer Barbar. Sie sollte schleunigst das Weite suchen, solange er noch ohnmächtig war.
Aber wie tags zuvor in der Kapelle war sie sich sicher, das Richtige zu tun, indem sie blieb. Es war, als führe Gott ihre Hand. Ihre Finger schwebten über der Schulter des Nordmannes. Sie konnte die Hitze spüren, die von ihm aufstieg. Vermutlich würde er von weiteren Fieberschüben heimgesucht werden, bis – vielleicht – die Heilung einsetzte.
Sie wollte ihn leise ansprechen, wusste aber noch immer nicht seinen Namen. Vorsichtig berührte sie seine Schulter.
Er bewegte sich leicht. Caitlín zuckte zurück. Bestimmt würde er gleich hochschnellen oder schreien!
Doch er drehte sich nur auf dem Hocker um und blickte zu ihr hoch. In seinen halb geöffneten Augen stand Verwirrung. Sein linker Arm legte sich um ihre Mitte und zog sie dicht zu sich heran. Sie wagte kaum zu atmen. Aber die Hand zu heben, um äußerst behutsam eine Strähne aus seinem Gesicht zu streichen – das wagte sie.
»Meyja« , murmelte er.
Caitlín befahl sich, sich ihm zu entwinden. Aber war es wirklich allein Furcht, die ihr Herz gegen die Rippen schlagen ließ? Nie zuvor hatte sie sich selbst so deutlich gespürt. Der festgewebte Stoff ihres Unterkleids rieb an ihren Brüsten; der heiße Atem des Mannes strich über die bloße Haut oberhalb des Ausschnitts, und seine muskulösen Arme und seine harte Brust waren wie eine eiserne Umklammerung, die ihr die Luft zum Atmen raubte.
Sie konnte nicht fliehen. Sie wollte nicht.
Als ihre Knie nachgaben, hielt er sie umso fester. Sein Schenkel, auf dem sie sich plötzlich sitzend wiederfand, drückte zwischen ihre Beine. Heilige Brigida, heiliger Patrick, steht mir bei . Sein Gesicht war dem ihren so nah. Sein berückend schönes Gesicht, selbst im Zustand völliger Erschöpfung. Das Herdfeuer sandte flackernde Schatten über seine Züge. Dann sah sie nichts mehr, spürte nur noch seine erhitzten Lippen auf ihren.
Nein. Oh Gott, hilf …
Seine Zunge sandte eine Woge reinsten Feuers durch ihren Körper. Caitlín umschlang seinen Hals, da sie zu fallen fürchtete. Sie musste den Kuss erwidern, sie musste, musste …
Nein.
O doch .
Zugleich rangen sie um Atem. Seine Lider flatterten. »Muss ich denn immer vor dir schwach sein, Mädchen?«, flüsterte er.
»Herrin Caitlín!« An der Tür klopfte es heftig. »Geht es Euch gut? Lebt Ihr noch? So sagt doch etwas, um Gottes willen!«
Einen Augenblick später stand Caitlín wieder auf ihren eigenen Füßen. Der Wikinger hatte den Kopf sinken lassen. Nun drang ihr wieder sein ungesunder Schweißgeruch in die Nase, sogar heftiger als zuvor. War das eben wirklich passiert? Selbst wenn, er würde sich hoffentlich nicht mehr daran erinnern oder es für einen Traum halten. Himmel, sie war verlobt! Caitlín wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, eilte zur Tür, fuhr sich übers Gesicht und durch die Haare
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