Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
und drehte den Schlüssel.
»Es geht mir gut«, beantwortete sie die Frage der Äbtissin. »Ihm … nun, ihm geht es leidlich gut, denke ich. Er wird wohl noch einige Tage mit dem Fieber kämpfen müssen.«
Mutter Laurentia hob eine Braue, als wolle sie damit zeigen, dass sie sein Zustand nicht im Mindesten interessierte. »Man kann ihn bis hierher riechen.«
»Ja« Caitlín nickte, »ich glaube, als Nächstes braucht er ein Bad.«
Nebel wallte über die Wiesen. Ein Sonnenstrahl brach sich Bahn. Die Luft roch nach Kiefern, ersten Blüten und schmelzendem Schnee. Caitlín schlug die Kapuze ihres Umhangs zurück und marschierte durch Schneematsch und wadenhohes Gras. Es tat gut, die Lungen zu füllen. Wieder Sonnenlicht zu sehen. Seit sie das Benediktinerinnenkloster betreten hatte, war sie nicht ein Mal außerhalb gewesen. Ihr waren die dunklen Mauern stets kalt vorgekommen, wie Nachwehen des Winters. Die wenigen Sonnenstrahlen schienen auch ihr Inneres zu wärmen – ein Gefühl, das sie nie zuvor empfunden hatte, überkam sie. Sie wusste es nicht zu deuten.
Auf ihrem Gesicht lag ein Lächeln. Sollte sie nicht verzweifelt sein? Schließlich lag der entsetzliche Überfall nur einen Tag zurück? Und erst vor einer Stunde hatte sie das grässliche Brandeisen in Händen gehalten. Was war mit ihr, dass sie den Drang verspürte, sich wie zum Tanz zu drehen? Das konnte nicht richtig sein.
Sie raffte ihren Rock und erklomm eine Erhebung. Feenhügel, so sagte man hier dazu. Manche glaubten, dass in der Tiefe unter diesen Hügeln ein altes Göttergeschlecht lebte. Caitlín kannte von den Abenden am heimischen Feuer die Geschichten, die niemand wirklich mehr für wahr hielt. War es nicht seltsam, dass ein Nordmann an hammerschwingende Götter oder an achtbeinige Pferde glaubte, die einen Wagen über das Himmelsgewölbe zogen? Er, dessen Name sie noch immer nicht wusste, wirkte mal so urgewaltig wie rohes Erz aus der Erde, dann wieder wie filigranes Silber. Und er …
Ach, was hatte es für einen Sinn, über ihn nachzudenken? Schon bald würde er wieder aus ihrem Leben verschwunden sein. Und das war richtig.
»Herrin Caitlín!« Schwester Órla kam den Hügel heraufgeeilt. Schnaufend blieb die kleine Nonne vor ihr stehen. »Die ehrwürdigste Mutter Oberin hat doch angeordnet, dass niemand die Klostermauern verlassen darf. Was, wenn noch Räuber hier herumstreifen?«
Caitlín bezweifelte das. In den alten Geschichten waren die Wikinger mit ihren Drachenschiffen schnell wie der Wind, und ebenso schnell verschwanden sie nach einem ihrer Beutezüge wieder. »Ich musste einfach ein paar Schritte laufen. Hier draußen ist die Luft anders, frischer und reiner. Findest du nicht auch?«
Órla reckte ihr Näschen in die Höhe. »Es riecht tatsächlich nach Frühling. Trotzdem bekomme ich Ärger, wenn Mutter Laurentia davon erfährt.« Sie senkte die Stimme, als stünde die Ordensherrin nur zwei Schritte entfernt.
»Dass der Frühling kommt?« Caitlín lachte.
»Bitte, Herrin! Ich brühe Euch auch einen Kräutersud auf. Mit Honig, ja?«
»Du lockst mich also mit Honig? Na schön! Ich folge dir.«
Stirnrunzelnd wandte die Nonne sich um. Sicherlich fragte sie sich, was die Ursache für Caitlíns Stimmung war.
»Wir müssen uns beeilen, gleich wird zur Sext gerufen«, murmelte Órla und hastete voraus. Caitlín folgte ihr zurück ins Gebäude und in die Küche, wo sie Órla half, einen Kessel mit Wasser aufzusetzen. Das Gefäß war noch warm.
»Der Fremde – wo ist er jetzt?«
»Schwester Rianna hat Wasser für ihn erhitzt. So wolltet Ihr es ja. Die ehrwürdigste Mutter Oberin hat allerdings verlangt, dass er sich im Stall wäscht.«
»Im Stall? Und er hat nicht getobt, als er das erfuhr?«
Caitlín wartete die Antwort nicht ab, sondern warf sich wieder ihren Umhang um und hastete in den Hof. Aus dem Stall drang nicht wie zuvor das Schnauben und Scharren der Pferde, die zu ihres Vaters Eskorte und der des Herrn Éamonn gehört hatten. Auch die Tiere hatten die Wikinger gestohlen, vielleicht, um sie ihren Göttern zu opfern. Plötzlich war die Furcht vor ihm wieder da. Sie hob die Kleidsäume, um nicht zu stolpern und kein Geräusch zu machen. Behutsam, damit der Schnee nicht knirschte, setzte sie einen Schritt vor den anderen. Das Stalltor war nur angelehnt.
Tatsächlich. Auf dem mit Stroh bedeckten Boden stand ein kleiner Zuber, aus dem kräuselnd Dampf emporstieg. Im Stall war es düster, Licht fiel allein durch die
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