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Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Titel: Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shirley Waters
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von seinen Schultern zu wischen.
    Sie berührte seinen Hals. Kalt, aber sie konnte das Pochen einer Ader spüren. Langsam und schwach.
    »Er lebt. Aber er muss schleunigst ins Warme gebracht werden.«
    Sie hob den Kopf. Órla presste fest die Lippen aufeinander, als versuche sie zu verhindern, dass ihre Zähne vor Kälte oder Furcht klapperten. Hyld hingegen schien mit ihrem wärmenden Umhang verwachsen zu wollen, während sie lauschte. Aus dem Refektorium erklang das Klappern von Geschirr; es war Vesperzeit. Der Kreuzgang war verlassen, ebenso die Kapelle. Von irgendwoher drang ein gemurmeltes Gebet an Caitlíns Ohr. Doch alles wirkte seltsam leise. Dicke Schneeflocken hatten in Windeseile eine knöchelhohe weiße Schicht gebildet.
    »Wir können ihn nicht tragen«, erklärte Hyld. »Er ist viel zu schwer für uns.«
    »Auf dem Friedhof hinter der Kapelle, sind dort die Toten aufgebahrt?«
    Schwester Órla nickte und blies in ihre Hände. Caitlín machte sich auf den Weg. Glücklicherweise war es bereits so dunkel, dass sie die Toten unter dem Schnee kaum sehen konnte. Trotzdem hielt sie den Blick fest auf eine an die Hofmauer gelehnte Trage geheftet. Sie schüttelte den Schnee ab und kehrte mit der Trage zur Kapelle zurück.
    »Wollt Ihr das wirklich tun?«, flüsterte Hyld.
    »Helft mir!«, forderte Caitlín, statt ihr zu antworten.
    Sie wollte! Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass auch aus diesem Körper das Leben entwich. Niemand durfte mehr sterben. Niemand – und da war es gleich, ob der Mann ein Feind war. Entschlossen rollte sie ihn auf die Trage, sodass er rücklings zu liegen kam. Doch als sie den hölzernen Griff packte, erkannte sie, dass er selbst für drei Frauen zu schwer war. Stattdessen würden sie ihn hinter sich herschleifen müssen. Hyld murrte, und Órla schlug fünf Kreuzzeichen, bevor sie zuzupacken wagte. Dann aber gelangten sie mit ihrer Last ins Innere der Abtei. Caitlín war froh, dass keine andere Benediktinerin ihren Weg kreuzte. In der Gästekammer wuchteten sie in einem letzten Kraftakt den Wikinger auf die Bettstatt, die dem Feuer am nächsten war.
    »Und jetzt?«, schnaufte Hyld.
    Zu dritt standen sie mehrere Schritte von ihm entfernt – ängstlich und beinahe ehrfürchtig, als sei er ein vor Jahrhunderten verstorbener Heiliger, der durch ein Wunder Gottes wie lebendig wirkte. Da er auf seinen gebundenen Händen lag, wirkte sein Brustkorb, der sich deutlich hob und senkte, noch mächtiger.
    »Wir müssen ihn der nassen Sachen entledigen«, sprach Caitlín die Ungeheuerlichkeit aus, die wohl ihnen allen durch den Kopf ging.
    »Allmächtiger.« Órla umklammerte ihr Kreuz.
    Caitlín überlegte, dass es genügen würde, ihm die Stiefel auszuziehen und seinen Oberkörper freizulegen, um nach der Wunde zu sehen. Sie zog an den Schnüren, die sein Wams vorne verschlossen. Als es aufsprang, kam ein dicht gewebtes Hemd zum Vorschein. Wie sollte sie diese Sachen entfernen, wenn seine Hände gefesselt waren?
    Der Dolch, der ihn verwundet hatte, lag noch auf dem Tisch. Sie hatte ganz vergessen, ihn mitgenommen zu haben.
    »Nein, Herrin!«, rief Hyld, doch Caitlín hatte die Waffe schon umschlossen und kniete an der Seite der Bettstatt. Mit der linken Hand drückte sie seine Schulter ein wenig zur Seite, sodass sie die Fessel durchschneiden konnte.
    »Nur damit wir ihn ausziehen können«, erklärte sie. »Danach werden wir ihn wieder binden.«
    Als er mit einem lauten Aufstöhnen die Hände nach vorn zog, wich Caitlín erschrocken zurück. Er wälzte sich auf den Bauch und blieb wieder still liegen, so als habe er nur den Schmerz in seinem Rücken mildern wollen. War er wirklich nicht erwacht? Plötzlich wünschte sie sich, die Fesseln nicht durchtrennt zu haben. Überhaupt nichts von alldem getan zu haben. Unsinn , schalt sie sich. Er ist hilflos .
    »Schwester Órla, kannst du ein neues Seil besorgen?«, flüsterte sie. »Und etwas für seine Wunde? Eine Heilsalbe?«
    »Ja.« Órla wandte sich schnell ab und wurde von einem sehnsüchtigen Blick Hylds verfolgt. »Ich beeile mich.«
    Es war nicht leicht, ihm das Wams von den Schultern zu ziehen. Caitlín wappnete sich gegen ein erneutes Aufbäumen, doch er rührte sich nicht mehr. Der einstmals weiße Stoff war um die Wunde herum blutrot. Würde er toben, wenn er feststellte, dass sein zweifellos teures Hemd zerschnitten worden war? Caitlín beschloss, nicht darüber nachzudenken, und setzte den Dolch an.
    »Da!«, wisperte Hyld. »Er

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