Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
vorsichtig.
»Oh, Gott wirkt erstaunliche Wunder!« Die Äbtissin warf die Arme hoch. Sie schien von dem Gedanken, der Mann – vielmehr das Problem – habe sich in Luft aufgelöst, geradezu besessen zu sein. »Sind nicht die Engel dem heiligen Patrick erschienen, sodass er aus der Knechtschaft flüchten konnte? War es nicht ein Engel, der den heiligen Brendan neun Jahre lang zur See geschickt hat? Wenn die Himmelsgeschöpfe zu so etwas fähig sind, können sie auch einen Heiden hinforttragen, um uns zu schützen.«
Verstohlen musterte Caitlín die Mienen der andächtig lauschenden Nonnen, bevor sie schließlich den Kopf hob. »Ehrwürdige Mutter Oberin, wären hier Engel im Spiel, so würde sich mir die Frage stellen, warum sie nicht schon früher erschienen sind, um den Überfall zu verhindern.«
Kühl erwiderte die Äbtissin ihren Blick. »Es steht uns nicht zu, so etwas zu fragen. Gott hat den Wikinger für seine Taten bestraft und uns den Anblick seines Sterbens erspart. Und jetzt lasst uns essen. Schwester Johanna, sprich das Tischgebet.«
Eine der Nonnen erhob sich, doch auch Caitlín stand auf. »Ich glaube nicht, dass er den Tod verdient hat. Er hat uns in unserem Versteck entdeckt und nicht verraten. Ja, wir verdanken Gott unsere Rettung, aber auch ihm!«
»Herrin Caitlín, ich glaube, Ihr solltet …«
»Und wenn er doch lebt, so hat er unsere Hilfe verdient. Und nicht, dass wir ihn im Schnee liegen lassen!«
»Herrin Caitlín! Er ist tot, begreift das endlich.«
»Aber das könnt Ihr nicht wissen, ehrwürdige Mutter Oberin. Was, wenn er nun doch lebt?«
Tief seufzte Mutter Laurentia auf. Sie schob die Hände in die Ärmel ihres Habits und schien sich zu fragen, wie sie diesen aufmüpfigen Gast zum Schweigen bringen konnte. »Nun gut«, erwiderte sie langsam. Ein Lächeln umspielte ihren Mund, erreichte aber nicht ihre Augen. »Ich schwöre bei Gott und seiner Heiligen Schrift, dass ich dem Wikinger helfen werde, sollte er noch einmal lebend vor mir erscheinen.«
Sie hörte sich nicht so an, als würde sie sich an diesen Schwur gebunden fühlen, wenn sie den Mann bewusstlos daliegend fand. Caitlín suchte nach weiteren Worten, aber ihr wollten keine mehr einfallen.
3.
E r sah die gefallenen Helden in Walhall einziehen. Seite an Seite schritten sie durch die gewaltigen Tore, die sich in den Wolken verloren. Von drinnen hörte er die anderen, längst verstorbenen Krieger zechen und lachen. Sie feierten sich und die Götter, denen sie in den letzten Kampf, ragnarök , folgen würden, am Ende der Zeit. Nur dem, der mit der Waffe in der Hand gestorben war, wurde die Ehre zuteil, durch diese Tore treten zu dürfen. Doch Njal hielt kein Schwert in der Hand. Er hatte es in einer Kapelle des Christengottes verloren. Er war nicht im Kampf gefallen – jemand hatte ihm einen Dolch in den Rücken gestoßen. Ein solcher Tod war ehrlos, und so wies der Wächter der Tore ihn ab, deutete hinab in die Tiefen von Niflheimr, wo ihn Finsternis, Kälte und ewige Stille erwarteten.
Schrecken erfüllte ihn, als er feststellte, dass er gefesselt war. Bäuchlings lag er auf einer harten Pritsche. Kalt war es nicht, auch nicht dunkel. Ein Feuer erhellte einen steinernen Raum.
Er lebte.
Ganz sicher war er sich noch nicht. Sein Körper fühlte sich steif an. Bei jedem Atemzug zuckte ein stechender Schmerz durch seinen Rücken. Womöglich musste er sich im jenseitigen Leben auf diese Weise an die Art seines Todes erinnern? Er wollte sich aufbäumen, aber der Schmerz ließ ihn die Zähne zusammenbeißen und zurücksinken. Bevor er die Fesseln nicht losgeworden war, würde er nicht klar denken können. Er zerrte daran – und stellte überrascht fest, dass sie locker saßen. Wer hatte so nachlässig gearbeitet? Njal spannte seine Armmuskeln an, drehte und wand die Hände – und war frei. Das Stechen im Rücken missachtend, setzte er sich auf.
Er befand sich in einem Schlafraum: vier, nein, fünf Pritschen standen an den Wänden nah am Kamin. Dazu ein Tischchen, ein paar Hocker. Alles grob und schmucklos gezimmert. Die Schlichtheit des Raumes rührte an seiner Erinnerung. Wo lebte man so?
Sein Blick fiel auf ein Holzkreuz an einer Schnur, die an einem Bettpfosten hing.
Natürlich. Jemand hatte ihn in einem Christenkloster niedergestochen. Wahrscheinlich ein irischer Krieger; er hatte drei davon gesehen und gegen einen von ihnen gekämpft. Einer der anderen beiden musste den Dolch in seinen Rücken gestoßen haben.
Weitere Kostenlose Bücher