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Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Titel: Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shirley Waters
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fremdartiger Machart. Nein, dieser Mann war ganz sicher kein Christ. So wenig, wie es manche Nordleute waren, denen ihr König Tryggvasson den neuen Glauben aufzwang, die aber nach wie vor ihre heidnischen Götter anbeteten und ihnen Tiere opferten. So erzählte man sich.
    Der Anhänger war gewiss nur ein Beutestück.
    »Herrin, was macht Ihr da?«, wisperte Hyld hinter ihr.
    Caitlín steckte das Kreuz wieder unter sein Hemd und legte das Tuch zurück in die Schüssel. An der Tür klopfte es leise. Rasch schob sie den Riegel zurück und öffnete.
    Es war die kleine Órla. »Gleich beginnen die Laudes, und dann folgt das Morgenmahl. Bitte erscheint, denn Mutter Laurentia hat etwas zu verkünden.«
    Caitlín und Hyld beeilten sich, wenigstens ihre vom Schlaf zerzausten Haare zu richten und sich in ihre Umhänge zu hüllen. Den Frühgottesdienst nahm Caitlín nur am Rande wahr, während ihre Gedanken beständig um den Nordmann kreisten. Sie fühlte sich eigenartig belebt. Es war, als ließen die Schwierigkeiten sie wachsen. Hier und jetzt war sie nicht mehr das bockige Mädchen, das sich in die Arme eines ihm fremden Bräutigams schieben lassen musste. Sie war allein, ohne Schutz und ohne zu wissen, wie sie an ihr Ziel gelangen sollte. Das Schicksal hatte ihr einen Fremden geschickt. Und nicht ihres lag in seiner Hand, sondern sein Schicksal, sein Leben in ihrer.
    Nachdem der Tagessegen gesprochen war, begaben sich die Nonnen ins Refektorium. Auf dem langen Esstisch wurden Talgkerzen entzündet, und einige der Frauen mussten kämpfen, ihr Gähnen zu verbergen. Hölzerne Schüsseln mit dem Morgenmus, eine Mischung aus Getreidebrei und Äpfeln, wurden aufgetragen, die Becher mit Wasser gefüllt. Als hoher Gast erhielt Caitlín zusätzlich eine Scheibe Brot und ein Töpfchen mit Honig. Ihr Wasser wurde mit Wein vermischt.
    Die Äbtissin strahlte wieder Erhabenheit und Würde aus. Den Nonnen sah man die Schrecknisse des gestrigen Tages an, ihr jedoch nicht. Caitlín fragte sich, ob sie bisher auch nur ein einziges Lächeln auf diesem strengen Gesicht gesehen hatte. Ja, bei ihrer Begrüßung vor zwei Tagen, und zwar ein ziemlich frostiges. Mutter Laurentia wartete, bis alle still saßen, bevor sie einer jeden in die Augen blickte. Caitlín spürte, wie sie errötete, und hoffte, dass das, was sie getan hatte, nicht von ihrem Gesicht abzulesen war.
    »Liebe Töchter«, begann die Äbtissin, »was geschehen ist, war schlimm, und unsere Lage ist es noch immer. Über Nacht gab es noch einmal einen Wintereinbruch, der Schnee liegt drei Handbreiten hoch. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand auf den Weg zu uns begibt, solange die Witterung so schlecht ist, zumal die räuberische Wikingerhorde auch andere Küstenabschnitte unsicher machen wird. Unter diesen Umständen wird sich jeder Bewohner erst einmal in seine Kate verkriechen. Wir müssen also allein zurechtkommen. Heute werden wir die Toten begraben und für sie beten. Und dafür, dass wir unbehelligt bleiben. Dann überprüfen wir unsere Vorräte und kehren zum Alltag zurück. Gott der Herr hat uns eine schwere Bürde auferlegt, aber in seiner Güte auch beschützt. Keine von uns ist verwundet oder«, sie hob eine Hand an den Mund und räusperte sich, »geschändet worden.« Sie legte die Fingerspitzen aneinander. »Und Gott der Herr hat noch anderes getan«, fügte sie auf eine geheimnisvolle Art hinzu, die jede Nonne neugierig den Kopf heben ließ. »Er hat den Wikinger hinweggetragen. Er ist fort.«
    Hyld schlug die Hände vors Gesicht und rang nach Luft. Bestürzt sahen die Frauen sie an. Es war nicht zu erkennen, ob sie weinte, lachte oder einfach nur schon vom Brei genascht und sich heftig verschluckt hatte. Caitlín erstarrte. Erst als ihre Zofe sich wieder beruhigt und gottlob zum Schweigen entschlossen hatte, wagte sie, zaghaft zu fragen: »Hinweggetragen? Wie meint Ihr das?«
    »Er ist fort«, sagte Mutter Laurentia.
    »Vielleicht ist er ja weggelaufen«, murmelte Órla. Ihr Gesicht war hochrot.
    »Dazu war er zu schwer verletzt. Das Tor haben wir verschlossen, nachdem die Räuber fort waren, und wie hätte er in seinem Zustand die Mauer überwinden sollen? Es gibt keinen Zweifel: Er ist fort!«
    Der Schnee. Als Caitlín den Mann in ihr Zimmer gebracht hatte, hatte sie nur flüchtig an die Schleifspuren gedacht, die die schwere Trage im schlammigen Boden hinterlassen haben musste. Und sie dann vergessen.
    »Ich glaube das einfach nicht«, sagte sie

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