Der Schwimmer: Roman (German Edition)
die Spritzerei gut sein sollte, wußte ich nicht. Sie machen es, damit wir nicht verblühen, sagte meine Mutter. Wir hatten keine Wanne, nur eine Schüssel aus Blech, in der wir eingeseift wurden, bis es in den Augen brannte. Im Winter, wenn meine Mutter sich gewaschen hatte, setzte sie sich neben den Herd, um ihr Haar zu trocknen. Im Sommer ging sie dafür in den Hof, bis mein Vater sie entdeckte und es ihr verbot. Es gab niemanden, der meine Mutter hätte sehen können, aber die Wünsche meines Vaters waren Gesetz. Meine Mutter hat meinem Vater nie widersprochen. Sie hat ihn verlassen.
Nachdem meine Mutter gegangen war, schlief mein Vater in der Küche. Nachts öffnete er die Tür zum Zimmer, und ich wachte auf davon. Ich glaube, er wollte nachsehen, ob wir noch da waren, Isti und ich. Am Anfang erzählte er uns, meine Mutter sei bei Verwandten in Debrecen. Isti fragte, warum hat sie sich nicht verabschiedet, und mein Vater sagte, sie ist mit dem frühen Zug gefahren, ihr habt geschlafen. Ich wußte, es gab keinen so frühen Zug, und ich wußte, etwas war anders, etwas hatte sich verschoben, an diesem Morgen und in der Nacht davor. Vielleicht, weil mein Vater gezögert hatte, bevor er antwortete, vielleicht, weil er sich überhaupt die Mühe machte, uns zu antworten. Ich lief zu meiner Großmutter und blieb so lange bei ihr, bis ich anfing, die anderen zu vermissen. Obwohl es zu kalt war, ließ sie mich im Hof sitzen, auf einer Bank, die naß war vom letzten Regen. Ich wischte mit den Fingern übers Wasser, wartete auf den nächsten Regen, der meinen Mantel, meine Strümpfe, meine Stiefel durchweichte, und ich wünschte, er könnte mich genauso durchweichen, dieser Regen, vielleicht auflösen, und ich, ich könnte mit dem Wasser weggleiten - irgendwohin.
Als man sich dann, nach dem Gottesdienst erzählte, meine Mutter sei mit einer Freundin in den Zug gestiegen, ohne Koffer, ohne Tasche, ohne Abschied, als man sich auch erzählte, ich säße jetzt, im November, draußen im Regen, und keiner hindere mich daran - erst da verkaufte mein Vater Haus und Hof. Wir mußten Kovács zurücklassen. Isti schrie. Mit einer Schere schnitt er ein Büschel Haare aus seinem Fell und steckte es in die Hosentasche.
Für die erste Zeit sollten wir bei der Mutter meines Vaters unterkommen. Sie wohnte im Osten des Landes. Drei Tage lang fuhren wir mit dem Zug. Vielleicht, weil mein Vater nicht wußte wohin, mit sich, mit uns. Vielleicht, weil er aufschieben wollte, was jetzt beginnen würde. Wir fuhren eine Stunde, stiegen aus, stiegen um, fuhren wieder eine Stunde, schauten auf Ortsschilder, die langsam an uns vorbeizogen, warteten auf Bahnhöfen, sahen auf Gleise, übernachteten bei Menschen, die ich nie zuvor gesehen hatte, ließen uns umarmen, ließen uns küssen, stiegen in einen Bus, wieder in einen Zug, dann in den nächsten, der uns weiter weg brachte, weiter weg von uns und von allem, was wir kannten.
Isti hörte nicht auf zu weinen. In Budapest fing mein Vater an zu brüllen, Isti solle dieses Schluchzen lassen, und im Abteil schaute man erst zu ihm, weil er brüllte, dann zu Isti, weil er jetzt noch lauter weinte. Mein Vater stand auf, zerrte unser Gepäck aus dem Netz, und wir verließen den Zug und suchten nach einem Haus in der Högyes Endre utca, in der Nähe des Rings. Eine Tante meines Vaters wohnte hier. Es regnete. Seit wir in Vat in den Zug gestiegen waren, hatte mein Vater nur das Nötigste mit uns gesprochen: Setz dich hin, sei ruhig, hört auf, euch zu schlagen, ja, wir sind bald da. Jetzt trug er in beiden Händen große Koffer, schob uns vor sich durch den Regen, suchte nach Hausnummern und sagte irgendwann: Stop.
Wir waren vor einem dunklen Haus angelangt und schauten an seiner Fassade hoch. Hinter schmutzigen Scheiben flackerte Licht. Jemand schloß ein Fenster. Aus einem Radio tönte Musik. Mein Vater zündete ein Streichholz an und fuhr mit der Flamme über die Namensschilder. Neben den Türklingeln hingen lose Kabel. Putz hatte sich gelöst. Als mein Vater seinen Finger auf die Klingel drückte, rieselte etwas davon hinunter. Die Pforte öffnete sich schwer. Wir gingen ein paar Schritte durch die Dunkelheit, vorbei an einer Wand aus schwarzen Briefkästen aus Blech, und schauten auf einen großen Innenhof, in dessen Mitte der Regen fiel. Jemand hatte ein paar Pflanzen in Töpfen dort hingestellt. An den Wänden lief das Wasser hinunter und verteilte sich langsam auf dem Hof. Wir stiegen eine
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