Der Schwur der Königin
erschien mir mit jedem Tag, der verstrich, ohne dass etwas geschah, dergleichen immer weniger wahrscheinlich. Andererseits wusste ich nur zu gut, dass meine Freundin Gleichförmigkeit einfach nicht ertragen konnte. In dem Maße, wie sie aus ihren Kinderkleidern herauswuchs und sich, ganz gegen ihren Willen, in eine wunderschöne junge Frau verwandelte, wurde Beatriz noch unruhiger als zuvor, was freilich niemand offen auszusprechen wagte. Ich hatte Doña Clara Doña Elvira zuraunen hören, dass man Mädchen wie Beatriz früh verheiraten sollte, um ihr überhitztes Blut zu kühlen. Gleichwohl schien sie die Aufmerksamkeit von Männern nie wahrzunehmen und ignorierte stets die anerkennenden Pfiffe der Diener, die sie angafften, wann immer wir bei der Erledigung unserer Aufgaben an ihnen vorbeimarschierten. Des Nachts, in unseren Gemächern, nahm sie das Wachstum ihrer Brüste und die Ausdehnung ihrer Hüften mit sichtlicher Bestürzung zur Kenntnis: Bald würde sie nicht mehr so tun können, als wäre sie für all das, was die voll entwickelte Fraulichkeit mit sich brachte, nicht empfänglich.
»Du könntest Don Bobadilla bitten, dich in die Stadt mitzunehmen«, schlug ich vor und griff in meine an der Seite angebrachte Tasche, wo Doña Clara in einem Stück Stoff unseren Proviant, Brot und Käse, verstaut hatte. »Doña Elvira fehlt sicher schon das eine oder andere, das sie kaufen will. Gestern hat sie Stoff für neue Kleider und Umhänge erwähnt.«
»Ja, und dann kann uns Papa auf einen unerträglich langsamen Ritt um die Stadtmauer von Ávila mitnehmen«, maulte Beatriz. »Als ob wir sie nicht schon Hunderte von Malen gesehen hätten.«
Ich reichte ihr eine Scheibe von dem weichen Brot, das bei uns immer frisch gebacken wurde. »Sei doch nicht so griesgrämig. Sonst verschrumpelt dein Gesicht wie ein saurer Apfel.« Bei dem Wort »Apfel« spitzte Canela sofort die Ohren. Ich tätschelte ihm den Hals. Alfonso hatte recht: Auch wenn Maultiere für unverheiratete Frauen als am besten geeignet galten, gab es für mich seit Canela nur noch Pferde.
Beatriz schnitt eine Grimasse und machte sich über ihr mit Käse belegtes Brot her. Dann beugte sie sich zu mir herüber. »Ihr könnt Euch ja verstellen, so viel Ihr wollt, aber ich weiß, dass Ihr genauso wie ich darauf brennt zu erfahren, was dieser Brief vom Hof zu bedeuten hat. Ich habe doch gesehen, wie Ihr in der Nacht die Truhe geöffnet und ihn angeschaut habt, als Ihr dachtet, ich würde schlafen. Ihr habt ihn bestimmt so oft gelesen, wie ich die Stadtmauern von Ávila gesehen habe.«
Ich senkte den Blick. Insgeheim fragte ich mich, was Beatriz wohl sagen würde, wenn ich ihr gestand, wie neugierig und besorgt ich in Wahrheit gewesen war.
»Natürlich bin ich neugierig«, erwiderte ich mit leiser Stimme, damit meine Mutter, die mit Don Bobadilla vor uns ritt, nichts aufschnappte. »Aber vielleicht wollte uns der König wirklich nicht mehr mitteilen, als dass die Königin Mutter geworden ist.«
»Das mag schon sein. Aber vergesst nicht: Alfonso war sein erster Erbe, und es wird allenthalben von Enriques Impotenz gemunkelt. Vielleicht stammt das Kind nicht von ihm.«
»Beatriz!«, rief ich lauter als beabsichtigt. Schon blickte meine Mutter über die Schulter. »Sie isst das ganze Brot weg!«, rief ich ihr hastig zu, woraufhin meine Mutter Beatriz tadelnd anstarrte. Kaum hatte sie sich abgewandt, zischte ich: »Wie kannst du so etwas behaupten? Oder, genauer gesagt, woher willst du das wissen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Hausknechte reden eben. Dienstmädchen nicht minder. Es ist wirklich nicht so, als ob das ein Geheimnis wäre. In ganz Kastilien sprechen die Leute über nichts anderes. Es heißt, die Königin hätte sich schwängern lassen, um das Schicksal von Enriques erster Frau zu vermeiden. Oder habt ihr vergessen, dass er seine erste Ehe mit Blanca von Navarra hat annullieren lassen, weil sie ihm nach fünfzehn Jahren kein Kind gebären konnte? Sie behauptete, sie hätten ihre Ehe nie vollzogen, er dagegen schwor, ein Hexenzauber hätte verhindert, dass er ihr gegenüber die Position des Mannes einnehmen konnte. Wie auch immer, sie wurde fortgeschickt und durch eine hübsche neue Königin ersetzt – eine hübsche Königin, die zufällig die Nichte Eurer Mutter ist und genau weiß, dass eines Tages die zwei Kinder ihrer Tante ihr dasselbe antun könnten, was Enrique Eurer Mutter angetan hat.«
Ich blitzte sie an. »Das ist doch absurd! Ich
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