Der Schwur der Königin
höre nie auf müßigen Klatsch, und du solltest meinem Beispiel folgen. Im Ernst, Beatriz, was ist in dich gefahren?« Ich wandte mich ab und widmete mein Augenmerk der uns immer näher rückenden Stadtmauer von Ávila.
Ein beeindruckender Wall mit achtundachtzig verstärkten Türmen, vor Jahrhunderten zur Verteidigung Ávilas gegen marodierende Mauren errichtet, wand sich um die gesamte Stadt. Auf einem zerklüfteten Felsplateau thronend, wachte Ávila mit unerbittlicher Strenge über die Provinz, die seinen Namen trug, und reckte die wuchtigen Türme seines Alkazar und der Kathedrale in den saphirblauen Himmel, wie um ihn zu durchbohren.
Obwohl sie gerade behauptet hatte, das alles längst zu kennen, zeigte Beatriz sich beeindruckt. Sie richtete sich kerzengerade in ihrem Sattel auf, und ihre Wangen röteten sich. Ich hoffte, ihre Euphorie würde sie davon abhalten, den Klatsch und die Spekulationen weiterzutragen; damit konnte sie uns in Teufels Küche bringen, wenn uns jemand belauschte.
Unter dem Torbogen ritten wir in die Stadt. Vorbei an Hunderten von Menschen, die ihren Geschäften nachgingen, feilschenden Händlern und übers Kopfsteinpflaster ratternden Karren bahnten wir uns unseren Weg zu dem am nordöstlichen Rand gelegenen Kloster. Allerdings achtete ich kaum auf das bunte Treiben, denn Beatriz’ Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. Anscheinend konnte ich einfach nicht dem Schatten entkommen, den ich gehofft hatte, in Arévalo zurückgelassen zu haben.
Die Äbtissin, die im Voraus in Kenntnis gesetzt worden war, empfing uns im Hof des Klosters. Während Don Bobadilla und die Knechte die Pferde versorgten, wurden wir in den Gemeinschaftssaal geführt, wo ein Mahl auf uns wartete. Obwohl tatsächlich Linsensuppe mit Schweinefleisch aufgetragen wurde, aß Beatriz wie eine Verhungernde. Nach dem Essen ging sie zusammen mit Doña Elvira zu ihrem Vater, um ihn zu einem Ausflug in die Stadt zu überreden. Ich blieb zurück und schloss mich meiner Mutter bei ihrem Besuch in der Kapelle an. Als sie sich mit der Äbtissin, einer langjährigen Freundin, die vom König als Oberhaupt des Klosters eingesetzt worden war, zu einem Gespräch zurückzog, verließ ich die beiden und wanderte durch den Garten.
Dort umgaben mich Zitronen- und Orangenbäume. In schweigender Gemeinschaft bearbeiteten mehrere Nonnen die Erde. Kurz lächelten sie mich an, während ich auf dem gewundenen Pfad vorbeispazierte und die Düfte von Rosmarin, Thymian, Kamille und anderen wohlriechenden Kräutern einsog. Ich verlor jedes Zeitgefühl und war es zufrieden, mich in der Sonne zu wärmen. In ihren Strahlen badete auch die gepflegte Anlage, und weil deren reicher Boden den Schwestern fast alles lieferte, was sie benötigten, brauchten sie kaum je ihre gesegneten Mauern zu verlassen. In ihrer Welt fühlte ich mich, als wären die letzten Wochen ausgelöscht worden. Hier in Santa Ana schien es völlig unmöglich, dass etwas Schlimmes geschah, dass die übrige Welt mit ihren Widrigkeiten und Intrigen je in diesen Hort des Friedens eindrang.
Als ich mich einer Mauer näherte, die in vollkommener Symmetrie angelegte Gemüsefelder umschloss, blickte ich zu dem dahinter aufragenden Kirchturm auf und hielt jäh inne. Ganz oben beim Kreuz befand sich ein Flechtwerk von Zweigen – ein Vogelnest, isoliert in der Sicherheit schwindelerregender Höhe.
»Die Storchenfrau ist eine gute Mutter. Sie weiß ihre Jungen zu verteidigen«, sagte eine Stimme dicht an meinem Ohr. Mit einem erstickten Aufschrei wirbelte ich herum und sah mich einem völlig unerwarteten, doch befremdlich vertrauten Gesicht gegenüber. Ich erinnerte mich noch gut, wie er mich in die Arme genommen und aus dem Sterbezimmer meines Vaters in die Nacht hinausgetragen hatte …
»Eure Eminenz, hochwürdiger Erzbischof«, flüsterte ich und sank vor Ehrfurcht vor seinem heiligen Amt in einen tiefen Knicks. Als ich die Augen zu ihm hob, entblößte sein Lächeln schiefe Zähne, die nicht zu seinen geröteten Wangen, den dicken Lippen und der gekrümmten Nase passten. Sein durchdringender Blick strafte die Wärme seines Tons Lügen.
»Isabella, meine Tochter, wie groß du geworden bist!«
Meine Gedanken überschlugen sich. Was hatte Erzbischof Carrillo de Toledo in Santa Ana zu tun? War er wegen einer anderen Angelegenheit hier, und unsere Wege kreuzten sich nur zufällig? Ein Gefühl sagte mir, dass das hieße, den Zufall arg zu strapazieren. Hinter seiner Anwesenheit musste
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