Der Schwur der Königin
Adelige, die keine sephardischen Juden am Hof haben wollten, aus ihrer Feindseligkeit kein Hehl gemacht hatten. Don Abraham war Enriques oberster Steuereintreiber; er hatte auch Cabrera bei dessen Kampf um den Bestand des Schatzamtes und der Kronjuwelen unschätzbar wertvolle Hilfe geleistet. Wenn der Rabbi an meinem Empfang mitwirkte, konnte ich mir des Schutzes höchster Stellen sicher sein. So quittierte ich Beatriz’ Worte mit einem Nicken und lenkte Canela in den Haupthof, wo schon Hunderte Menschen auf mich warteten.
Leichter Schnee begann herabzuwehen und die gefederten Kappen mitsamt den protzigen Samtkleidern der Höflinge zu überzuckern, während sie vor mir auf die Knie sanken. Mit einem metallischen Geräusch, das von allen Seiten widerhallte, klapperten Canelas Hufe über das Kopfsteinpflaster. Als ich unsicher auf dieses anonyme Meer von Gestalten blickte, jagte ein Angstschauer durch mich. Was, wenn Beatriz sich getäuscht hatte? Was, wenn Enrique mich trotz aller gegenteiligen Beteuerungen herbefohlen hatte, um mich gefangen zu nehmen?
Dann bemerkte ich die verloren in der Mitte des Hofs aufragende Gestalt – ein Pfeiler ganz in Schwarz mit seinem markanten roten Turban.
Ohne seine Kopfbedeckung hätte ich ihn nicht erkannt. Mit Chacóns Hilfe stieg ich vom Pferd und näherte mich ihm. Mein Entsetzen darüber, wie mager der König geworden war, verbarg ich. Er war gelbsüchtig, und unter der fahlen Haut traten die Wangenknochen scharf hervor. Seine traurigen Augen waren matt und tief in Schatten versunken – ein beredtes Zeugnis seines Kummers. Er hatte den gehetzten Ausdruck eines Mannes, der die Tiefen der Verzweiflung durchwandert hat, und als ich vor ihm niederkniete und seine Hand mit dem Siegelring an meine Lippen führte, musste ich brennende Tränen zurückblinzeln.
»Majestad« , sagte ich, »ich bin zutiefst geehrt, wieder in Eurer Gegenwart zu sein.«
Enrique sprach kein Wort. Zitternd spähte ich nach oben. Warum hatte er mich nicht gebeten, mich zu erheben? Hatte er mich am Ende zu sich beordert, nur um mich vor dem ganzen Hof zu demütigen? Seine dunklen Augen, jetzt unverhohlen nass, waren starr auf mich gerichtet. Als Tränen schließlich über sein Gesicht rannen und sich mit dem feuchten Schnee vermischten, der vom Turban tröpfelte, zuckte sein Mund. Er sprach deshalb nicht, weil er nicht konnte ! Seine Emotionen, die er so lange im Zaum gehalten hatte, drohten, ihn zu überwältigen.
Ich wartete nicht länger auf seine Erlaubnis, stand auf und schlang die Arme um ihn. Mochten die Höflinge sagen, was sie wollten. Was in diesem Moment zählte, war, dass wir vom gleichen Blut waren. Wir waren eine Familie, Bruder und Schwester.
»Hermano« , murmelte ich so leise, dass nur er mich hören konnte. »Das alles tut mir so leid.«
Ich spürte sein ersticktes Schluchzen. Sein ausgemergelter Körper schmolz mit dem meinen zusammen. Und endlich flüsterte er mit der Fassungslosigkeit eines Kindes: »Nein, das ist meine Schuld. Meine allein. Ich bin verflucht. Ich zerstöre alles, was ich berühre.«
In einem feierlichen Umzug ritten wir durch die Straßen, um unsere Versöhnung vor dem Volk zur Schau zu stellen. Es reagierte mit ohrenbetäubender Begeisterung, Fahnenschwenken und Jubelrufen, bis der Himmel sich verfinsterte und nasses Schneetreiben die Stadt zudeckte.
Im Alkazar speisten wir im großen, vergoldeten sala . Einträchtig saßen mein Bruder und ich auf dem Podest beisammen und blickten auf den blank polierten Boden und das Meer von Gästen an den Tischen hinab. Es war, als hätte es die Jahre des Unfriedens nie gegeben. Wie immer ließ sich Enrique von Knaben bedienen – alles hübsche Jungen mit weichen Augen und parfümierten Händen, die ihm die Teller reichten, den Kelch vollschenkten, sein Fleisch in mundgroße Stücke schnitten. Seine maurischen Wächter hatten sich wie damals mit ihren Krummschwertern und unnahbaren Mienen hinter ihm postiert; einzig die grelle rote Erscheinung seiner vielgeschmähten Königin fehlte, sonst wäre diese bizarre Rückkehr in die Vergangenheit komplett gewesen.
Doch nicht alles war, wie es schien. Ich konnte spüren, dass sich in Enrique eine tiefgreifende Veränderung vollzogen hatte. Obwohl er auf dem Königsthron saß, mit mir, seiner anerkannten Erbin, an der Seite, schien er von seiner Umgebung isoliert zu sein. Er schaute hinab auf seinen Hof, die Granden und die weniger hohen Adeligen, die seinen Wein tranken, seine
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