Der Schwur der Königin
Tat dringend sein. Ich bin gerade erst angekommen. Hättet Ihr gewartet, hätte ich mit Sicherheit einen Zeitpunkt und einen Raum gefunden, die für ein Zwiegespräch angemessen wären.«
»Die Zeit drängte«, erwiderte er. »Gott hat mich jetzt zu Euch gesandt, weil Euer großer Moment nah ist. Bald werdet Ihr das Zepter in der Hand halten, und Eure glorreiche Aufgabe wird Euch offenbart werden.«
Ein Schauer kroch mir über den Rücken. Torquemada sprach wie einer dieser verhassten Sterndeuter, die mit ihren Talismanen und angeblichen Weissagungen am Hof herumlungerten.
»Bitte«, sagte ich, »sprecht klar und offen. Ich bin müde. Es war ein langer Tag.«
Er trat einen Schritt näher. Verblüfft stellte ich fest, dass er unter dem zerfransten Saum seiner Kutte barfuß war und dass an seinen blau gefrorenen Zehen getrocknetes Blut klebte. Erneut erschauerte ich.
»Gott hat Euch Fernando gegeben«, verkündete Torquemada. »Er hat Euer Flehen erhört und Euch die irdische Leidenschaft geschenkt, die Ihr so sehr ersehnt hattet. Er hat Euch die Kraft verliehen, alle Hindernisse zu überwinden, Eure Feinde zu besiegen. Doch dafür müsst Ihr geloben, Ihm zu dienen. Vor allem anderen müsst Ihr zuerst Ihm Ehre erweisen. Das verlangt Er von Euch als Seiner Königin auf Erden.«
Er hielt inne. In dem abgeschlossenen Raum hallten seine Worte gespenstisch wider. Ich schluckte mit jäh ausgetrockneter Kehle. Warum sagte er mir das? War er gekommen, um mir Versäumnisse in meinen Andachten vorzuwerfen?
»Ich versichere Euch: Ich diene ihm sehr wohl«, erklärte ich. »Jeden Tag. Zwar bin ich nur eine schwache Dienerin und …«
»Ihr werdet mehr als eine Dienerin sein«, unterbrach er mich, und ich widerstand dem Impuls zurückzuweichen, als er sich mit glühenden Augen vor mir aufbaute, während das übrige Gesicht totenbleich wirkte. »Ihr könnt nicht leugnen, dass Ihr das Zeichen des Satans auf unserem elenden König gesehen habt. Enrique IV. ist verdammt. Schon kriecht der Tod durch seine Knochen. Mit seinem unnatürlichen Treiben hat er den Allmächtigen beleidigt; er hat sein Gesicht von den Rechtschaffenen abgewandt und sich dem Laster und der Sünde hingegeben. Ihr aber …« Jetzt trat er so dicht an mich heran, dass ich an ihm haftenden kalten Kerzenrauch riechen konnte. »Ihr seid Seine Auserwählte. In Euch werden Sein Licht und Zorn mit leuchtender Flamme brennen. Nur Ihr könnt diese zwei Reiche aus den Klauen des Satans befreien und uns wieder in den Zustand der Heiligkeit führen. Nur Ihr könnt das Schwert schwingen, das das Übel, welches diese Länder heimsucht, mitten ins Herz trifft.«
Ich verharrte regungslos, unfähig, den Blick von ihm abzu- wenden. »Es ist Verrat, den Tod eines Königs vorauszusagen«, hörte ich mich murmeln.
»Ich sage nicht voraus.« Wie um mich zu tadeln, hob er einen knochigen Finger. »So wie jeder Mensch und auch jeder König bin ich aus Staub. Er wird sterben, und Ihr werdet herrschen. Und Ihr müsst bei Eurer unsterblichen Seele schwören, Kastilien von der Verderbtheit zu reinigen, sie auszumerzen, wo immer sie hausen mag, und in den ewigen Abgrund zu schleudern.«
»Welche Verderbtheit?«, wisperte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte und fürchtete. »Wie … meint Ihr das?«
Er starrte mir in die Augen. »Das Ketzertum. Es lauert überall. Es hat die Gesteine dieses Landes durchdrungen, seine Gewässer, seine Erde, es verbirgt sich in dem Kind, das lacht, in der Frau am Brunnen, in dem Mann, der auf seinem Esel an Euch vorüberreitet. Es ist in der Luft, die Ihr einatmet. Es steckt in dem falschen Christen, der das Weihwasser trinkt und ausspuckt, nur um seiner Verderbtheit zu frönen, der vorgibt, unsere Kirche zu verehren, doch heimlich den jüdischen Kult pflegt. Sie sind die schwärende Wunde Kastiliens, sie sind das verfaulte Glied, das Ihr abhacken und verbrennen müsst, um den wahren Glauben zu reinigen.«
Er sprach von den conversos , den Juden, die zu unserem Glauben übergetreten waren. Sie lebten zu Tausenden in Kastilien. Nach einer Welle schrecklicher Gewalt gegen sephardische Juden hatten viele von ihnen anlässlich der Massenbekehrungen von 1391 die heilige Taufe akzeptiert. Sie hatten sich mit Christen verheiratet und ihre Kinder als Christen erzogen. Beatriz und Andrés de Cabrera stammten von conversos ab und mit ihnen viele der vornehmsten Adelsfamilien des Reichs. »Reinheit« des Blutes war daher ein abstrakter Begriff, etwas,
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