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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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verrichten. Da ist keine Zeit für Träumereien.«
    Ich musste ihm zustimmen. Das, worum Señor Colón uns bat, war angesichts unserer Umstände zu viel. Andererseits wollte ich ihn nicht ohne Belohnung wegschicken; tief in meinem Innern teilte ich seine Leidenschaft. Ich glaubte, dass das, was er sagte, Hand und Fuß hatte, aber das war nur ein Gefühl, nichts, was sich logisch begründen ließ.
    Ich erhob mich. »Ich möchte noch etwas länger mit ihm sprechen«, hörte ich mich sagen. Fernando nahm das mit einem knappen Nicken zur Kenntnis, dann fuhr er zum Tisch herum und schnippte mit den Fingern, worauf Santángel zur Anrichte stürzte und seinen Kelch nachfüllte. Der Zauber, den Colón gewirkt hatte, war gebrochen. Plötzlich kehrte das Alltagsleben zurück: Catalina wachte auf und begann zu schreien, Juana beruhigte sie, und Beatriz kümmerte sich um die beiden; María spielte wieder mit ihren Puppen, während die Hofdamen miteinander tuschelten, Isabél sich wieder ihrer Lektüre zuwandte und Juan ein Gähnen unterdrückte.
    Ich nahm das alles wahr, ohne weiter darauf zu achten. Inés brachte mir meinen Umhang. Colón fixierte mich, während ich mir den mit Luchsfell gefütterten Brokat über die Schultern legte und ihm bedeutete, mir zu folgen.
    »Kommt«, sagte ich, »wir machen einen Rundgang.«
    Auch wenn Inés uns in diskretem Abstand folgte, hörte sie auf zu existieren, als ich mit dem Seefahrer durch die Gänge flanierte. Seine ganze Erscheinung war einfach zu fesselnd. So war ich aufgrund seiner Größe gezwungen, ständig nach oben zu seinem markanten Profil zu blicken. Die Stille in der Galerie verstärkte das Klacken seiner Stiefel auf den kalten Steinplatten und das Rascheln seiner abgetragenen Samthose. Die gedämpfte Beleuchtung im Saal hatte seiner Tracht geschmeichelt – im grellen Licht draußen konnte ich deutlich erkennen, dass seine Kleider nicht neu waren. Erneut verblüffte mich sein Selbstbewusstsein. Ich kannte nur wenige Männer, die es gewagt hätten, in etwas anderem als ihrer kostbarsten Ausstattung vor ihre Königin zu treten, sogar wenn das bedeutete, dass sie für deren Anschaffung Grund und Boden verpfändeten.
    Die Galerie, ursprünglich ein Kreuzgang, umschloss einen privaten Garten mit Formschnitthecken und jetzt noch kahlen Blumenbeeten. Um uns herum füllten die emaillierten Turmspitzen des Klosters den blauen Himmel. Ein einsamer Storch umkreiste ein Nest hoch über uns. Als ich stehen blieb, um ihn zu beobachten, murmelte Colón: »Es ist wahrhaft ein Wunder, dass sie mühelos Orte erreichen, zu denen wir es trotz all unserer Überlegenheit nicht wagen aufzubrechen.«
    Ich warf ihm einen schnellen Blick zu. »Sprecht Ihr vom Fliegen oder vom Segeln, Señor Colón?«
    Um seine Lippen spielte ein hintergründiges Lächeln. »Für mich ist das ein und dasselbe.« Er hielt kurz inne. »Der italienische Maler Leonardo da Vinci glaubt, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, Apparate zu bauen, die uns in den Himmel hinauftragen können.«
    »Das wäre in der Tat ein Wunder«, meinte ich. »Aber wird dadurch nicht alles kleiner?«
    »Die Welt ist nur so klein, wie wir sie sehen, meine Dame. Die Vorstellungskraft kennt keine Grenzen.«
    Darauf fiel mir keine passende Antwort ein, noch war mir klar, wie ich damit umgehen sollte, dass er statt meines königlichen Titels eine äußerst gewöhnliche und ungebührliche Anredeform verwendet hatte.
    »Mein Gemahl, der König, hat recht«, sagte ich schließlich, als wir um eine Ecke bogen und den überwölbten Prunkgang hinuntergingen. Draußen hatte leichter Schneefall eingesetzt, doch die Flocken lösten sich auf, bevor sie den Boden erreichten. »Wir befinden uns mitten in einem großen und mühseligen Kreuzzug, der all unsere Anstrengungen erfordert.«
    Meine Andeutung hing zwischen uns in der Luft. Ich hoffte, mir würde erspart bleiben, auf das Offensichtliche zu verweisen: Unser Schatzamt konnte ein so ehrgeiziges Vorhaben einfach nicht finanzieren, jedenfalls nicht, solange wir Krieg führten.
    Er stieß einen resignierten Seufzer aus. »Das kommt nicht unerwartet. Im Ausland werdet ihr als visionäre Kriegerkönigin gefeiert, die mit der Kraft ihres Willens diese einst belagerte Nation zu großer Macht führen wird.« Er schaute zu den tanzenden Schneeflocken hinauf. »Andererseits bin ich davor gewarnt worden, dass Eure visionäre Gabe nicht über die Grenzen Eures Reiches hinausgeht.«
    Ich lachte auf, obwohl mich

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