Der Schwur der Venezianerin
Menschen leiden?“
„Höre zu, Pietro“, sie war ärgerlich geworden, „wenn du wirklich das Leben an meiner Seite genießen möchtest, dann hör auf zu jammern. Gib dich vernünftigen Gedanken hin, stell dir endlich vor, wie du helfen könntest, unseren Weg nach Florenz, unseren Weg in eine gemeinsame Zukunft zu lösen und zu gestalten. Nun wird es allerdings so sein, dass der einfachste und bequemste Weg nicht der unsere sein kann.“
„Warum das denn wieder nicht. Ich denke immer, man soll es sich so einfach, wie möglich machen.“
„Nur kann es sein, dass der einfachste Weg auch derjenige ist, der am ehesten überwacht wird, wo man uns am einfachsten einfangen kann. Ich habe mir dazu etwas einfallen lassen. Seit langer Zeit habe ich den Gesprächen und Abenteuerberichten in unserem Palazzo über die Handelswege nach Florenz gelauscht und die Gäste des Hauses ausgefragt. Ebenso bei Tante Gritti, und selbst Balzano hat mir bereitwillig Auskunft gegeben.“
„Wusste er von deinen Absichten?“
„Nein, niemals. Aber ein lernwilliges Mädchen stellt viele Fragen. Das ist natürlich“, sie lachte dabei, als hätte sie alles schon vorher gewusst.
„Daraus hat sich für uns nur ein möglicher Weg ergeben. Den wollen wir gehen. Er ist beschwerlicher als die neuen, besser gepflasterten Wege. Er ist ein alter Handelsweg, der selbst schon in den Zeiten des glanzvollen Roms von den Reisenden benutz wurde. Noch eine alte Burg steht am Wegesrand, manch eine Villa zeigt, dass sie bessere Tage gesehen hat. Aber jetzt verkehren kaum noch Reisende über diesen Weg, weil er zu beschwerlich ist. Die Gegend ist verarmt und einsam geworden. Die Bauern und Müller, die Pfarrer und Schmiede an der Strecke leben in sich eingekehrt, haben wenig mit den Umtrieben von Soldaten und Fürsten zu tun. Sogar die Überfälle von zerstreuten und verlorenen Kriegergruppen sind in dieser Gegend kaum anzufinden. Es lohnt sich für sie einfach nicht. Wir werden den größten Teil zu Fuß gehen müssen, der eine oder andere Bauer wird uns auf seinem Karren sicherlich ein Stück des Weges mitnehmen. Es geziemt aber nicht den frommen Leiden eines armen Mönchleins, sich in einer Postkutsche zu bewegen. Wenn ein Kutscher uns des Wohin unserer Reise fragt, sag ihm einfach „der nächste Ort“, das reicht. Lehne jeden Versuch, uns mitzunehmen ab, wir wissen nicht, wer sonst noch als Gast in der Kutsche fährt.“
„Warum soll ich mit den Leuten reden, warum machst du das nicht?“, drückte er sich vor der Verantwortung.
„Pietro, ich werde in menschlicher Gesellschaft ab sofort stumm sein. Ein Mädchen, eine Frau in Mönchskleidern mit heller Stimme ist verdächtig. Sag den Neugierigen, ich sei ein stummer Bruder. Hätte meine Stimme bei der Sünde eines Fräuleins verloren, das ihre Liebesabenteuer mit einem Pfarrer gebeichtet hätte. Du seiest jetzt auch das Sprachrohr Gottes für deinen jungen Kumpan. Ansonsten kannst du dir alles einfallen lassen, was uns nutzt und uns nicht verrät.“
Pietro stöhnte leise. Die Last ihres geringen Hab und Gutes schien ihm einfacher zu tragen, als auch noch wie ein Bettelmönch zu reden, der mit seinem stummen Bruder des Weges ging.
Er nahm die Habe auf, Bianca versteckte ihre hervorschauenden Haare unter der Kapuze, strich sich ein wenig Schmutz durch das Gesicht, färbte die Finger im grünen Gras und mit ein wenig Lehm, und sie brachen mit unterschiedlichen inneren Zielen auf.
Am Anfang war der Weg recht einfach, als es durch die Täler von Comacchio ging. Ähnlich wie sie es in Venedig gewohnt war, breitete sich die Hafenstadt Comacchio auf verschiedenen Inseln aus.
Noch schien der Weg einfach. Später sollte es über die Passhöhen von Cassaglia beschwerlicher werden. Zunächst einmal aber wollten sie sich am Flusslauf der Lamone halten und diesen sicheren Führer entlang gehen.
Beinahe wären ihnen schon zu Beginn der Reise die vielfältigen Interessen des jungen Mädchens zum Verhängnis geworden. Eine uralte Stadt, noch aus den Zeiten der Griechen und Etrusker, die auch ebendiesen Namen führte, fesselte die Aufmerksamkeit Biancas.
Sie fragte einen daherkommenden Bauern nach den Schönheiten der Stadt, als der Landmann entsetzt auf den zierlichen Mönch schaute. Pietro trat ihr in die Seite und redete zu dem Bauern:
„Schert Euch nicht um das unverständliche Gekrächze dieses Eunuchen“, rief er laut und machte mehrere Kreuzzeichen über der Brust. „Dieses Bürschlein hat die
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